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Unter den Übungen der Frömmigkeit sagte mir besonders der Wandel in der Gegenwart Gottes zu. »Cum Deo ambulare« (Mit Gott wandeln) wie die Heilige Schrift (1 Mos. 17, 1) so schön sagt, das schien auch meiner Schwäche nicht zu schwer; es legt keine Last auf, erleichtert vielmehr den Dienst des Herrn; es belebt das mündliche Gebet, befruchtet die Arbeit, erfreut das Herz. In dieser Uebung ruht die Seele bei Gott, verkehrt ungezwungen mit ihm, wird sich so recht bewußt, daß wir »in Gott leben, uns bewegen und sind« (Apg. 17, 28).

Gewiß habe ich diese so heilsame Uebung nicht mit der Treue gepflegt, wie ich es hätte sollen. Gleichwohl hat sie mir reichen Segen gebracht und mein Leben mit Freude erfüllt. Denn jeder, der dies versuchen will, erfährt, daß »der Umgang mit der ewigen Weisheit nichts Bitteres und ihre Gesellschaft nichts Widriges hat, sondern Frohsinn und Freude bringt« (Weish. 8, 16). Im Verkehr mit Gott ist man stets in der besten Gesellschaft; das Gefühl der Vereinsamung ist unbekannt, auch im einsamen Leben.

Wie sehr ich übrigens der Nachsicht Gottes bedurfte und wie liebevoll seine väterliche Güte meiner Schwäche zu Hilfe kam, das beweist folgendes Vorkommnis. Das klösterliche Leben nahm unter Arbeit und Gebet seinen stillen, ungestörten Verlauf. Allerdings für den jungen und unerfahrenen Prior gab es oft Sorgen, die ihn sein Amt als eine nicht leichte Bürde empfinden ließen.

Eines Tages machte der Gedanke auf mich tiefen Eindruck, daß diese zerstreuenden Sorgen für meine Seele ein großes Hindernis seien, die innere Sammlung zu bewahren und in der Vollkommen­heit fortzuschreiten. Ich fragte mich, ob es nicht besser sei, einen strengeren Orden zu wählen, in dem ich in größerer Zurückgezogenheit und Sammlung Gott vollkommener dienen und mein Seelenheil leichter wirken könnte. Ich fühlte wohl, daß ich in Wirklichkeit damit dem Willen Gottes nicht entspreche und nur einem versteckten Egoismus diene; aber der Versucher hatte schon zu sehr Boden gewonnen.

Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_56.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)