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Rührend war die Abschiedsfeier. Nach dem Konventamt besuchte die Klostergemeinde die Altäre der Abteikirche; bei jedem wurde eine entsprechende Antiphon mit Oration gesungen. Vor dem Gnadenbilde der lieben Schmerzensmutter hieß es: »Gedenke, o Jungfrau, Gottesmutter, daß du vor dem Angesicht des Herrn standest, um gut für uns zu sprechen und seinen Zorn von uns abzuwenden«[1].

Dann bestiegen wir den Wagen, der uns bei Schneewetter nach Sigmaringen brachte. Des Abends langten wir in Ulm an. Von dort ging es des anderen Tags über München nach Hall in Tirol und zum Kloster des heiligen Karl an der Volderer Brücke. Es war am Samstag vor dem zweiten Adventsonntag.

Das ziemlich geräumige Kloster gehörte den Serviten, war aber nur von zwei Patres bewohnt. Es bot hinreichend Platz für die neuen Ankömmlinge; doch befand es sich teilweise in schlechtem Zustande. Am Nötigen hat es uns dort nie gefehlt, wenn auch die Anfänge einer gewissen Romantik nicht entbehrten. So fanden wir auf dem Noviziate ein mächtiges, altes Tischgestell, aber ohne Platte. Dieser unhaltbare Zustand konnte natürlich nicht lange dauern. Bald schloß sich die gähnende Leere, und ein langes Sitzbrett ersetzte die mangelnden Stühle. Doch dieser bescheidene Komfort beeinträchtigte unsere gute Stimmung nicht im Mindesten. Mir – und ich glaube bei den andern war es gerade so – kam alles als ganz natürlich und selbstverständlich vor.

Auch in der Kirche richteten wir uns ein, so gut es gehen wollte. Die Kirche ist durch ihre Gemälde berühmt; sie wurde von dem Tiroler Arzte Guarinoni († 1654) erbaut, der einst Edelknabe am Hofe des heiligen Karl Borromäus gewesen war und dem der Heilige gesagt haben soll, er werde ihm dereinst eine Kirche errichten.

Die braven Leute der Nachbarschaft waren dem Kloster sehr zugetan und machten sich nach guter Tiroler Art gerne die Gelegenheit zu Nutzen, recht vielen heiligen Messen beizuwohnen.


  1. Offertorium vom Feste der sieben Schmerzen Mariä.
Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_33.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)