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nach der Vesper im Kapitelsaale die eindrucksvolle Feier der Einkleidung und damit die Aufnahme ins Postulat statt[1].

Jetzt galt es, die Probezeit, die dem eigentlichen Noviziatsjahre vorausging, wohl zu benützen, und mich zunächst in den äußeren Formen des neuen Lebens zurechtzufinden, das heißt mich mit den Vorschriften für den Chor, das Refektorium und das übrige gemeinschaftliche Leben vertraut zu machen. Dabei ging mir der


  1. An seine Schwester schrieb er damals folgenden Brief:
    »Du wirst gewiß schon lange auf einen Brief von mir gewartet haben, da schon mehrere Wochen vergangen sind, daß ich Deinen lieben Brief erhalten habe. Du glaubtest, derselbe würde mich bereits in Innsbruck antreffen, doch darin hast Du Dich getäuscht; denn selbst jetzt bin ich noch nicht in Innsbruck. Doch höre jetzt das Nähere. Ich reiste am 24. September von Hemer ab, um wieder nach Innsbruck zurückzukehren. Ich beabsichtigte noch unterwegs einen Freund von mir zu besuchen, der in Beuron bei Sigmaringen Benediktiner ist und früher auch in Innsbruck studiert hat. Am 26. September kam ich im Benediktinerkloster St. Martin zu Beuron an und wurde von den guten Ordensleuten sehr freundlich aufgenommen. Ich beabsichtigte, in einigen Tagen meine Reise nach Innsbruck fortzusetzen; doch der Mensch denkt und Gott lenkt. Der liebe Gott hat mir eine große, sehr große Gnade zugedacht, die ich nicht im geringsten verdient habe. Nachdem ich mich einige Tage in dem genannten Kloster aufgehalten hatte, erkannte ich, daß mich der liebe Gott dahin geführt hatte, und daß es sein heiliger Wille sei, daß ich ihm im Orden des heiligen Benedikt die­nen solle. Ich habe dem Rufe der Gnade Folge geleistet und bin hier geblieben. Es wird Dir das vielleicht etwas unerwartet gekommen sein und Dir schmerzlich sein … O wenn Du wüßtest, wie armselig es in der Welt ist, wie zahlreich die Gefahren daselbst sind, wie alle Freuden der Welt so eitel und nichtig sind, nur Verdruß und Gewissensbisse im Herzen zurücklassen, Du würdest mir aus vol­lem Herzen Glück wünschen, daß der liebe Gott in seiner Güte dieser elenden, trügerischen Welt mich entrissen und mich eine sichere Ruhestätte hat finden lassen. Liebe Schwester, jetzt wirst Du den Sinn dieser Worte noch nicht verstehen, denn Du hast die Welt noch nicht kennen gelernt; doch wenn Du älter wirst, wirst Du auch die Erfahrung machen und dem gottseligen Thomas von Kempen recht geben, wenn er in der »Nachfolge Christi« schreibt: Alles ist Eitelkeit (nichtig) außer Gott lieben und ihm allein dienen … Glaube nun nicht, daß ich Deiner vergessen werde, o nein, ich denke recht oft, jeden Tag an Dich und bete für Dich, damit wir uns einst im Himmel gewiß wiedersehen, wo es keine Trennung mehr gibt … Nun, liebe Schwester, lebe wohl, vergiß Deines Bruders nicht, sondern bete recht fleißig für mich …«
Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_23.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)