Seite:De Benzler Leben 121.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Am Jubeltage feierte der Heilige Vater selber das Pontifikalamt in St. Peter. Wiederum war ich Zeuge des großartigen Schauspiels, das sich jedesmal erneuert, wenn der Statthalter Christi in der Basilika des Apostelfürsten eine gottesdienstliche Feier abhält. Wie immer bei solchen Anlässen ergoß sich eine wahre Völkerwanderung nach St. Peter, das trotz seiner riesigen Ausdehnung sich fast als zu klein erwies. Pius X. feierte seine Jubelmesse in dem vollen Glanze des obersten Hohenpriesters der Kirche Christi auf Erden. Welch ein Unterschied zwischen der Primiz in der Dorfkirche zu Riese und der Sekundiz unter der Kuppel von St. Peter. Gewiß, niemand hatte weniger an die Möglichkeit einer solchen göttlichen Fügung gedacht als der junge Neopresbyter Josef Sarto! Gott erhöht die Demütigen!

Der Heilige Vater hatte auch dem Metzer Pilgerzuge eine Audienz zugesagt. Aber größere Empfänge mußten zuerst erledigt werden, und dann erkrankte der Papst an starker Erkältung, so daß alle Audienzen abgesagt wurden. Als aber Pius X. hörte, daß die lothringischen Pilger ihre Abreise nicht verschieben konnten und doch so sehr wünschten, ihn zu sehen, konnte er nicht anders als ihrem Wunsche willfahren und ihnen trotz seines Unwohlseins eine Audienz gewähren. Zur bestimmten Stunde fanden wir uns im Vatikan ein. Die sonst so belebten Säle waren wie ausgestorben; eine fast unheimliche Stille umfing uns. Die Pilger wurden in den kleinen Thronsaal geführt und nahmen im Kreise Aufstellung. Bald erschien Pius X. wie ein gütiger Vater inmitten seiner Kinder. Ich stellte mit einigen Worten die Pilger vor, worauf er die Runde machte, um einem jeden die Hand zum Kusse zu reichen. Den Priestern gewährte er die besonderen Gnaden, um die sie ihn baten, und hatte freundliche Worte für sie. Mit einer kurzen herzlichen Ansprache und seinem Segen entließ er die Pilger, die überglücklich waren, eine solche Privataudienz gehabt zu haben. Ich ahnte nicht, daß ich Pius X. zum letzten Male getroffen hatte. Als ich fünf Jahre später wieder nach Rom kam, konnte ich den schwer erkrankten Heiligen Vater nicht mehr sehen.

Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_121.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)