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genießt, glaubte ich ein gewaltiges, wogendes Meer zu erblicken. Es waren die dichten Nebelmassen, die die Ebene erfüllten, während die das Kloster tragende Bergeshöhe in lieblichem Sonnenschein erglänzte. Ich hatte da ein Bild vor mir, das die Bedeutung von Monte Cassino für die Menschheit trefflich veranschaulichte. Während, einem brausenden Meere gleich, die nordischen Völker Italien und die anderen Länder Europas durchfluteten, leuchtete auf der friedlichen Höhe von Monte Cassino die Sonne christlicher Bildung und Gesittung. In jenen aufgeregten Zeiten »bot«, wie das angeführte päpstliche Schreiben sagt, »dieses Kloster der Religion nicht minder als auch den schönen Künsten ein friedliches Asyl und eine sichere Zufluchtsstätte. Hier leuchtete inmitten der überall hereinbrechenden Finsternis die Fackel der alten Weisheit ..., hier wurde die ehrwürdige Heiligkeit des göttlichen Gesetzes nicht minder als des menschlichen bewahrt in einer so schlimmen und stürmischen Zeit... Was Italien, was das gebildete Europa den Mönchen von Cassino verdankt, lehrt uns die Geschichte, diese Lehrerin des Lebens und Verkünderin der Wahrheit«. Möge das ehrwürdige Erzkloster seiner großen Vergangenheit und seiner hohen Aufgabe in der Gegenwart stets in vollem Maße entsprechen.

In Rom gewährte mir der Besuch der altchristlichen Basiliken und Renaissancekirchen wieder großen Nutzen für Geist und Herz.

Der Monat November, den wir in Italien verlebten, ist dort einer der schönsten des Jahres. Die Luft ist mild und kräftigend, zumal in St. Anselm auf der Höhe des Aventin, so daß der vierzehntägige Aufenthalt daselbst mir zu einer stärkenden Kur wurde. In dem neu angelegten Garten leuchteten die Orangen aus dem dunklen Grün der jungen Bäumchen. Die ganze Natur war in ein üppiges Pfanzenkleid gehüllt. Besonders schön waren die Abende, wenn der Himmel bei Sonnenuntergang sich in die lebhaftesten und mannigfaltigsten Farben tauchte. Der klimatische Unterschied zwischen Italien und der nordischen Heimat machte sich uns fühlbar, als wir zum ersten Adventssonntag wieder in Metz eintrafen.

Empfohlene Zitierweise:
Willibrord Benzler: Erinnerungen aus meinem Leben. Kunstverlag, Beuron 1922, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Benzler_Leben_102.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)