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Der König ihr Herr Vater merkte die heimlichen Waldgänge der Prinzessin und verbot sie und sperrte sein Kind ein. Sie ward aber so bleich und krank und elend vor lauter Sehnsucht nach dem Walde, daß er sie wieder herauslassen und die alten Waldgänge erlauben mußte. So ist das arme schöne Kind zwei Sommer und zwei Winter gegangen und hat Seufzer erlösen wollen; dann ist sie selbst ein Seufzer geworden. Man hat sie eines Morgens im grünen Walde gefunden, wie sie erblaßt um einen Baum hing, den sie in Liebe umschlungen hatte und an dem sie erstarrt war. Der König hat ihr ein Grab graben lassen und eine Stein darauf gesetzt, auf welchem die Worte geschrieben standen: hier liegt die schöne Prinzessin Anemone, die gestorben ist, weil sie die Seufzer erlösen wollte. Und er hat lange um sie getrauert und alle Menschen mit ihm; denn sie war wohl das allerfreundlichste Seelchen, das je in einem irdischen Leibe gewohnt hat. Es geht aber nun die Sage, daß es die Nächte um ihr Grab unaufhörlich flüstert und wispert und ächzet und seufzet. Da sind dann die kleinen schwirrenden und girrenden Waldseelchen da, die um sie trauren, und sie singen das Lied von dem Liebesseufzerlein:

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_443.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)