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Nun begab es sich einmal, als Erdwürmchen im Frühlinge ihres zwölften Jahres ihre Kühe und Kälber in den Wald trieb und mit ihrem Hündchen hinterdrein trabend eine Liedlein sang, daß ihr eine alte Frau begegnete, die fast nackt war und gar bleich und elend aussah. Diese jammerte über Kälte, und es war der Monat April, und da ist es in den Waldbergen oft noch recht kalt. Das konnte Erdwürmchen nicht lange anhören, sie mußte ihr Röckchen ausziehen und es der alten Frau umhängen, welche wegging und ihr zurief: Schönen Dank, mein Kind! das soll dir nicht unvergolten bleiben. Erdwürmchen ging nun den ganzen Tag im bloßen Hemde und fror selbst sehr und ward obendrein des Abends von der Mutter tüchtig ausgescholten, daß sie mehr weggegeben hatte, als sie durfte; denn die Mutter war auch nicht so reich, daß sie ihren Kindern immer neue Kleider zumessen lassen konnte. Als nun die Sonnengicht gekommen und die Tage am längsten waren, da hatte sich Erdwürmchen einmal im Walde gebadet. Als sie nun aus dem Bache stieg und hinter einem Dornbusch, wo sie sich entkleidet hatte, ihre Kleider suchte, fand sie statt deren, welche sie suchte, die allernettesten neuen Kleider, als wären sie eben vom Schneider gekommen, und

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_340.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)