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Schneeflöckchen fünf Jahre bis in die innersten Gedanken treu bleibt.


Und die süße kleine Prinzessin Schneeflöckchen flog mit den andern Schneeflocken im kalten Winde umher und fror und zitterte und wimmerte wie die anderen. Es fühlte aber, warum es trauerte, denn es hatte die allersüßeste und allerwärmste Seeele behalten, obgleich es so jämmerlich verwandelt war, und mußte auch als Schneeflöckchen durch die weite wüste Welt nach Liebe umherfliegen. Da war ihr denn das Traurigste, wenn sie je einmal auf ein hübsches Gesichtchen flog oder an eine schöne Brust sich schmiegte oder auf ein warmes Händchen sich hinabsenkte, daß sie unfreundlich weggeblasen und abgeschüttelt ward, als habe sie nur unangenehmen Frost gebracht, wie alle anderen Schneeflocken. So mußte sie immer wieder in die Welt hinein, wann sie gehofft hatte, sich einmal in Liebe auszuruhen, und flog den langen traurigen Winter umher und lag den gefrornen Bergen und den Steinen und den eisigen Seeen an der kalten Brust und weinte und ächzete um Liebe, die sie nirgends fand. Und als es warm ward und die ersten Blümchen ihre Köpfchen aufrichteten und die ersten Vögelein wieder sangen, da durfte sie nicht bleiben an der schönen Sonne sondern mußte in die Dunkelheit; denn der Winter fing sie ein mit den andern Schneeflocken

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_313.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)