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vor, das sie auf ihn gedichtet hatte, und es däuchte ihr, als neigte er sein Köpfchen dann traulicher als sonst ihren Tönen und als verstände er den Inhalt der Worte. Das Liedchen aber klang lieblich und fein aus ihrem Munde. Und wann sie so gesungen hatte in Wehmuth und Sehnsucht um etwas und nach etwas, das sie nicht wußte, dann schwirrte das Vöglein auf und klatschte mit seinen Flügeln und klang nach Stockholm! nach Stockholm! und sie hängte ihre Laute wieder auf die Schulter und nahm ihr Bündelchen unter den Arm und schlenderte ihm mit ihren feinen Füßchen getrost nach.

So waren sie beinahe zwei Monate gewandert da kamen sie in den Wald, der nicht weit von dem Schlosse des schwedischen Königs lag, und bald waren sie in dem Garten, wo der König und die Königin vormals so oft mit ihrer kleinen Tochter spaziert waren. Es war ein schöner Oktobermittag, hell und licht, wie sie in Schweden zu seyn pflegen, und nicht kalt. Und als Gunhilde in den Garten trat, war es ihr ganz wundersam um das Herz und kam ihr alles zugleich bekannt und doch unbekannt vor. Es war aber keine Erinnerung aus ihrer Kindheit – die war noch zu zart gewesen, als die Wölfin sie von dort entführt hatte – sondern

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_302.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)