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sie zum Besten haben und im Walde und in der Wildniß stecken lassen konnte, zu glauben und mit ihm über Berg und Thal und Feld und Haide zu wandern einen so weiten Weg. Sie hatten aber bis nach Stockholm wohl eine Reise von sechshundert Stunden und gingen immer von Mittag gegen Mitternacht; denn der König von Schweden ist ein Herr, der gegen Mitternacht herrscht. Und so ging Gunhilde täglich wohl zehen bis zwölf Stunden Weges, und ward nicht müde. Denn das Vögelchen führte sie meistens lauter anmuthige Fußpfade und Richtsteige durch lustige Wälder und über grüne Wiesen hin. Wann sie sich aber ausruhete, so nahm sie ihre Laute von der Schulter und sang ein fröhliches Lied, aber zuweilen auch ein Lied der unbekannten Sehnsucht und Liebe, welche die Träume in ihrem Busen aufgeweckt hatten. Das Vögelchen saß dann auf der Laute und horchte zu und regte in Freuden seine bunten Flügel über der Wölbung, zuweilen zwitscherte es auch sein Liedchen mit drein; wann die Jungfrau aber eingeschlafen war, was auch wohl geschah, dann weckte das Vöglein sie mit seinem Flügelschlage auf, wann die Zeit der Ruhe vorbei war und sie die Reise fortsetzen mußte. Sie sang ihrem kleinen Vogel auch fast alle Tage das Liedchen

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_301.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)