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barmherzige Hand, die ihn lösete, und die Sonne brannte ihn und ihn hungerte und durstete sehr. Die Prinzessin hörte er am andern Ende des Gartens mit den kleinen Vögeln ein Morgenlied singen, seine kleine Stimme aber konnte bis zu ihr nicht dringen.

Es war Mittag gewesen und die Sonne wandelte schon wieder von ihrer hohen Bahn herab, da kam die Prinzessin um zu sehen, was ihr Gefangener mache. Er aber ward lustig in seinem Herzen, denn er dachte, sie käme ihn zu lösen. Aber sie hielt ihm alles vor von gestern, wovon er nichts wußte, und sagte: Ich habe gesprochen: hier magst du gebunden liegen bis an den jüngsten Tag, meine Hände lösen dich nicht, und ich will mein Wort halten. Er hoffte, sein Flehen werde ihr das Herz brechen, und er bat flehete ächzete seufzete stönte weinte heulte und brüllte so, daß einem Steine sein steinernes Herz hätte springen mögen – sie blieb ungerührt und hüpfte weg mit einem Trallalara und rief: verbrenne verdurste verhungere, garstiges Ungeheuer, das mich zu lieben wagt! Das hast du mit Einem frechen Kuß verdient. – Doch erbarmte sie sich so weit über ihn, daß sie ihm einzelne abgefallene Aepfel und Birnen zuwarf oder hintrug und einen hölzernen Trinknapf aus dem Bache füllte und ihm hinhielt. Sie pries sich aber glückselig, daß sie ihn fest hatte.

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_286.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)