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lebendigste Herzblut hat. Und es tröpfelte Blut heraus, und er nahm des Blutes und bestrich des Vögeleins Köpfchen und Leib damit. Und kaum hatte er das gethan, so stand auch das Wunder fertig da. Das Vögelein ward in der Minute zu der allerschönsten Jungfrau, und der Prinz lag alsbald zu ihren Füßen und küßte ihr züchtig und ehrerbietig die Hände. Die Nachtigall war nun wieder Prinzessin Aurora geworden und erkannte in dem Manne ihren Bräutigam wieder, den Prinzen aus Ostenland. Sie war noch eben so jung und schön, als sie vor sechs Jahren zur Zeit der Verwandelung gewesen. Denn das ist den Verwandlungen eigen, daß die Jahre, die einer darin bleibt, ihn nicht älter machen, sondern tausend Jahre gelten da nicht mehr als eine Sekunde.

Man kann denken, wie diese beiden sich gefreut haben; denn wenn zwei verliebte Herzen, die einander treu geblieben, nach langer Zeit wieder zusammenkommen, das ist wohl die größte Freude auf Erden. Doch säumten sie nicht lange sondern liessen dem Könige ansagen, es seyen zwei fremde Prinzen aus fernen Landen an seinen Hof gekommen und begehrten fürstliche Herberge. Und der König trat heraus, daß er sie bewillkommete, und erkannte seine liebe Schwester Aurora und seinen theuren Freund

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_054.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)