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ÜBERLINGER SAGEN

7 DER SCHARFRICHTER VON BAUFNANG

An der Straße von Überlingen nach Lippertsreute zweigt sich kurz vor leztgenanntem Orte in der Richtung gegen Salem ein Weg ab, welcher zunächst nach dem nahen Weiler Baufnang fürt. In dem von beiden Straßen gebildeten Winkel, abseits von Baufnang, lag ehedem das einsame Wonhaus des Scharfrichters; der Richtplaz mit Galgen aber war etwa ¼ Stunde südöstlich beim jezigen Bauerngut Berghof. Längst ist das Haus des Scharfrichters abgebrochen, stat dessen ward von den Nachkommen ein Wirtshaus näher an die Landstraße gebaut, welches zur Erinnerung an das Gewerbe der Uranen den Schild „zum Schwert“ fürt. Hier wurde auch noch biß in die lezte Zeit das Richtschwert aufbewart und dasselbe erst kürzlich von einem Antiquitätenhändler angekauft, welcher es außer Landes brachte.

Im vorigen Jarhundert wonte noch im alten Hause der Scharfrichter Fidel Krieger, welcher streng und gewißenhaft seines schaurigen Amtes waltete. Nachts ward er einmal mit der Aufforderung geweckt, „sein Schwert zu nemen und mitzukommen“. Mit verbundenen Augen ward er in eine Chaise gesezt, die mit im fortfur, er wußte nicht, wohin? Als nach geraumer Zeit die Chaise hielt und man im die Binde abnam, befand er sich in einem großen Gemach, wo eine Anzal Geistlicher versammelt waren. Hier ward im nun der Befel gegeben, merere Todesurteile zu vollstrecken. Alsdann ward Krieger wider mit verbundenen Augen in einen etwa viertelstundenlangen Gang gefürt, an dessen Ende eine Steinplatte sich öffnete. Nach Lösung der Binde erkannte er, daß er in einem unterirdischen Gewölbe war, vor sich 12 Mönche, die zum Tode Verurteilten. Nun vollzog er mit dem Richtschwert an Sämmtlichen das Todesurteil, wobei das vergoßene Blut seiner Opfer im biß an die Knöchel reichte. Den lezten Streich konnte er kaum vollenden, denn der dem Tode Geweihte nam, die Hände im Gebet faltend, sein Geschick mit solcher Sanftmut und Ergebung hin, daß der Scharfrichter von tiefstem Mitleid ergriffen ward. Auf gleiche Weise, wie Krieger gekommen, ward er wider heimgebracht, one jedoch erfaren zu haben, wer die Hingerichteten waren und was sie mit dem Tode gesünt. Auch später konnte er nie Näheres erforschen; nach seinem Dafürhalten aber geschah die Verkündigung des Todesurteils im Kloster Salem und die Hinrichtung in einem der unterirdischen Gänge, deren es von Salem biß gegen Heiligenberg und anderseits biß an den Heidenlocher Weiher

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Anton Birlinger (Hrsg.): Alemannia XVII. Hanstein, Bonn 1889, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_XVII_273.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)