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wir als eine Durchschnittszahl fünf bis sechs Kinder an. Nehmen wir an dass die erste Geburt im neunzehnten, die letzte etwa im siebenundzwanzigsten Lebensjahr erfolgt, dass die Pflege der hilflosen Kleinen noch weitere sechs Jahre ihre Kräfte in Anspruch nimmt – Möbius redet nur vom Pflegen und Warten, nicht etwa vom Erziehen –, so bleiben ihr siebenunddreissig Jahre und mehr frei. Wenn die Natur das Weib mit allen Fähigkeiten ausstattete, die der Mann hat – Möbius betont Das nachdrücklich –, nur in etwas geringerem Maasse, um ihr für ein langes, langes Leben ausschliesslich die geschlechtliche Aufgabe zu überweisen, so ist sie grausam und sinnlos verfahren.

Grausam erscheint uns die Natur freilich oft. Doch schuf uns Menschen dieselbe Natur so, dass wir Ungerechtigkeit und Grausamkeit aus unserem tiefsten Empfinden heraus verneinen. Obwohl die Natur den Schwächeren durch den Stärkeren gewürgt haben will, wollen wir Das nicht, sondern wir setzen dem Naturrecht des Stärkeren ein anderes, menschliches Recht entgegen, das uns vornehmer erscheint. Hier würde allerdings bereits die Abwendung von der Natur beginnen, die jede Kultur mit sich bringt als den Todeskeim. Wiederum ist aber alle Fortentwickelung Naturgesetz, so dass auch die scheinbare Abkehr von der Natur noch durch die Natur selbst und in ihr sich als Nothwendigkeit vollzieht.

Gerechtigkeitliebe ist eine Anlage des Menschen, die zwar leicht verkrüppeln und verkümmern kann, die ihn aber immer nöthigen wird, den Brutalitäten der Natur ein eigenes, verfeinertes, veredeltes Wollen entgegenzusetzen. Ja, der Mensch wird selbst dann noch dem eigenen Gerechtigkeitgefühl folgen müssen, wenn er selbst darüber zu Grunde gehen sollte. Wir müssten aus unserem eigenen Gefühl heraus die Natur korrigiren, wenn sie wirklich so grausam ungerecht und roh am Weibe gehandelt hätte, wie Möbius annimmt. Und zwar unter allen Umständen, es möge daraus werden, was wolle. Eben so wenig wie wir uns heute auf Kosten von Sklaven bereichern wollen, können wir den männlichen Theil unserer Rasse dadurch stärken wollen, dass wir die weibliche Hälfte ihrem eigenen Kulturverlangen zum Trotz auf möglichste Thierstufe herabdrücken.

Selbst wenn also das Weib in so hohem Grade von der Natur benachtheiligt wäre und selbst wenn durch erzwungenes Verharren des Weibes auf seiner Halbthierstufe eine längere Dauer unserer Rasse zu erzielen wäre, so würde das sittliche Bewusstsein des Edelmenschen entscheiden müssen: „Nein! unter dieser Bedingung nicht.“ Leben um jeden Preis will das Thier. Dem Adel des Menschen ziemt es, freiwillig auf das Leben zu verzichten, wenn es nur noch unter schmählichen Bedingungen erhalten werden kann.

Doch ich sehe uns keineswegs vor diese harte Wahl gestellt. Die Angst des Dr. Möbius vor dem Untergang der Rasse durch das massenhafte Ueberhandnehmen von „Gehirndamen“ ist ganz so am Schreibtisch und aus der Theorie geboren, wie die heldenhafte kleine Nora Ibsens, die den eifernden Zorn des Doktors hervorgerufen hat. Wuthentbrannt griff Möbius zu den

Empfohlene Zitierweise:
Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/99&oldid=- (Version vom 31.7.2018)