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Freilich lässt sich das Lamm zur Schlachtbank führen, aber ist das eine Leistung? Fragt man nach der That, so kann gar kein Zweifel darüber sein, dass zu allen Zeiten der Mann mehr Opfer gebracht hat als das Weib[1].

Mit der Opferfrage hängt die nach der Moralität überhaupt zusammen. Allzuoft muss ich hören: ja intellectuell steht das Weib unter dem Manne, aber moralisch nicht. Gern bemächtigt sich die Schönrednerei der Sache: der Mann sei der Kopf, das Weib das Herz, oder ähnliches sagt man, als ob blumige Reden zur Klarheit führten. Es ist peinlich, wenn man einfache Verhältnisse erläutern muss, aber für Die, deren eigenes Nachdenken nicht ausreicht, oder die die Wirklichkeit nicht ruhig sehen können, will ich noch ein paar Worte sagen. Jeder Mensch weiss, wenn er zu handeln hat, was „das Rechte“ ist. Es ist gleichgiltig, welcher Moral er anhängt, ob er sich auf eine Offenbarung oder die Vernunft bezieht, eine Stimme, die freilich bald laut und deutlich, bald leise und undeutlich zu sein scheint, sagt ihm, was im gegebenen Falle für ihn moralisch ist, und wir nennen diese Stimme das Gewissen. Mag man über das Gewissen und seine Entstehung denken, wie man will, es ist da, und nur dann, wenn der Fall sehr verwickelt, oder der Mensch krank ist, weiss man nicht, was man möchte und was man soll. Verachtet der Mensch die Aussage des Gewissens, so handelt er böse, giebt er ihr Recht und thut er doch das Andere, so handelt er schwach, folgt er ihr, so handelt er gut. Der Böse und der Schwache ziehen ihren Vortheil dem „Rechten“ vor, mag es sich um Gewinnsucht, um Eitelkeit, um Liebe oder um sonst was handeln. Wenn der Gute diesen eigensüchtigen Trieben nicht folgt, die er doch auch hat, so muss ihm eine besondere Kraft eigen sein, die man (mit Vorbehalt weiterer Erörterungen) die moralische Fähigkeit nennen kann. Die moralische Fähigkeit kann siegen, entweder weil sie besonders stark ist, oder weil die entgegenwirkenden Triebe schwach sind. Im Allgemeinen wird sie, wenn moralisches Handeln eintreten soll,


  1. Mit der Aufopferung muss man die Sucht, sich aufzuopfern, nicht verwechseln. Diese ist bei nervösen weiblichen Personen sehr häufig und kann sehr unangenehm werden.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/73&oldid=- (Version vom 31.7.2018)