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gleiche, dass es geboren und gewachsen, jetzt aber erwachsen ist. So schliesse ich aus der „Ontogenese“ auf die „Phylogenese“. Auch der erwachsene Mensch bleibt nicht unverändert, er nimmt in manchen Hinsichten noch zu, hält sich aber in der Hauptsache bis zum Beginne des Alters ungefähr auf der gleichen Stufe. Ist es mit der Art auch so, so sind jetzt noch kleine Veränderungen möglich, wesentliche aber nicht, und so wenig, wie wir die Entwicklung des Menschen zu einem Uebermenschen zu erwarten haben, ebensowenig ist eine Aenderung der einmal festgelegten Geschlechtscharactere wahrscheinlich. Weiter ist die Veränderung der Nachkommen durch erworbene Eigenschaften der Erzeuger, ohne die unsere Verfasserin gar nicht auskommen kann, wahrscheinlich nur in sehr engen Grenzen möglich, wenn man von der Verderbniss der Keime absieht. Wäre sie in der vorausgesetzten Weise möglich, so müsste zur Weiterentwicklung des weiblichen Gehirns die intellectuelle Ausbildung des männlichen Gehirns ausreichen. Denn wenn alle Männer kenntnissreich wären, so würden sie ihr entwickeltes Gehirn auch auf ihre Töchter vererben, und da diese nur kenntnissreiche Ehemänner fänden, so würde bald die ganze Rasse aus Intellectuellen bestehen. Leider stimmt es nicht, obwohl thatsächlich gescheite Männer gewöhnlich gescheite Töchter haben, denn die männlichen Eigenschaften kehren bei den Töchtern nicht wieder, diese behalten ihren kleinen Weiberkopf, und auch ihre Leistungen erlangen nicht die männliche Grösse. Nicht nur die Art ist fest, sondern auch der Geschlechtsunterschied in der Art ist fest: Trotz kleiner Schwankungen stellt sich immer wieder dasselbe Niveau her. Wo grosse Schwankungen auftreten, da ist nach meiner Meinung nicht Entwicklung der Art sondern Entartung da.

Ich sage, einseitige Gehirnentwicklung ist Entartung; nein, sagt Oda, sie ist eine segensreiche Anpassung und fördert die Art. Ich habe gesagt, die Bildung tödte, Oda hält mich deshalb für einen Culturfeind und Reactionär. Ganz so schlimm bin ich nicht. Ich meine, man könne die sogenannte Culturarbeit der Eroberung eines Landes vergleichen, denn beide fordern Opfer, und wie die Soldaten fallen, so gehen die Culturförderer

Empfohlene Zitierweise:
Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold , Halle a. S. 1903, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)