Seite:De Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes (Möbius).djvu/68

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

angehören, so heisst es: ja, unsere Tochter soll das Lehrerinnenexamen machen, es fällt ihr zwar recht schwer, aber man muss doch für alle Fälle sorgen. Nun ist das Lehrerinnenexamen, gelinde gesagt, eine Quälerei, und die, die mit Aufopferung eines Theiles ihrer Gesundheit es bestanden haben, gelangen auch nicht gerade, zu goldenen Bergen. Aber alles andere ist nicht „standesgemäss“. Was thun die Weiber bei allen Völkern? Sie haben ausser der Sorge für die Kinder die für die Küche und den Haushalt überhaupt, sie beschaffen die Kleidung, wenigstens zum Theile, kaufen und verkaufen, je nachdem. Warum soll das, dessen sich unsere Hausfrauen nicht schämen, zu schlecht für die auf Erwerb angewiesenen Mädchen sein? Warum ehrt man nicht jede redliche Arbeit? Es kommt nur auf das Abthun alter Vorurtheile an. Wenn ein Mädchen sagte, ich will Köchin sein, ich verlange aber ein anständiges Zimmer und eine meiner Persönlichkeit entsprechende Behandlung, so thäte sie sich und anderen Gutes. Eigentlich giebt es doch eine Menge verständiger Leute, und die würden, wenn sie sich vielleicht mit den bisherigen Dienstboten halb krank geärgert haben, schliesslich gern Köchinnen, Stubenmädchen u. s. w. aus gebildeter Familie bei sich aufnehmen, unter der Bedingung, sie wie Ihresgleichen zu behandeln. Damit wäre auch der Dienstbotennoth abgeholfen, an der Hochmuth und Gleichgiltigkeit der Herrschaften ebenso Schuld haben, wie Mangelhaftigkeit der nicht erzogenen und gewöhnlich von Kindheit an sich selbst und schlechten Beispielen überlassenen Dienenden. Ausser der Häuslichkeit böte zur Noth das kaufmännische Wesen noch vielen weiblichen Personen Unterkunft, wenn einerseits die Arbeit respectirt, andererseits die Kaufleute gezwungen würden, die Gesundheit ihrer Arbeiter zu respectiren. Auf jeden Fall wird, wenn die Arbeitszeit nicht zu lang und der Lohn genügend ist, der Dienst im Kaufhause oder Kaufladen besser sein als die grässliche Trockenheit des Telephon-, Telegraphen-, Postdienstes u. s. w. Auch bietet die kaufmännische Thätigkeit die Möglichkeit des Selbständigwerdens. Noth bleibt die Erwerbsthätigkeit des Weibes immer, aber sie ist bei unseren Verhältnissen nicht zu vermeiden. Ob es später besser werden

Empfohlene Zitierweise:
Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/68&oldid=- (Version vom 31.7.2018)