Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage | |
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gefordert werden, oder sich mit ihm vertragen, das hängt von den Umständen ab, der Culturhöhe überhaupt und dem Stande. Eine Frau des kleinen Bürgerstandes wird wenig Nutzen davon haben, wenn sie mehrere Sprachen spricht, malt und Kunstgeschichte treibt oder sonst etwas, ja die Erwerbung und der Besitz solcher Fertigkeiten würden manchen Nachtheil mit sich führen. Die Frau eines Fürsten dagegen, deren Verhältnisse sie von der eigentlichen Arbeit ausschliessen, bedarf zur Erfüllung ihrer Stellung vieler Kenntnisse und Fertigkeiten, die in den unteren Ständen überflüssig oder schädlicher Luxus sein würden. Ich dächte, über diese Dinge könnte man sich einigen. Sehen wir von solchen Standesunterschieden ab, so kann man für die mittleren Stände sagen, bei einer (wirklichen) Frau sind Kenntnisse und Fertigkeiten ein schöner Schmuck, soweit sie die der Familie gewidmete Thätigkeit fördern, oder doch nicht stören. Auch an einem Manne schätzt man es, wenn er nicht nur die zu seinem Berufe unbedingt nöthigen Fähigkeiten hat, man tadelt ihn aber, sobald er durch Allotria seine Berufsthätigkeit stört. Das sei im Gedanken an die liebenswürdige Briefschreiberin gesagt, obwohl es sich eigentlich von selbst versteht.
Bin ich einmal so weit, so klingt es mir in den Ohren: Preise den Mutterberuf soviel, wie du willst, aber es können nicht alle Mädchen Mutter werden, und deshalb müssen wir unsere Mädchen so erziehen, dass sie allein stehen können. Obwohl diese Dinge nicht zu meinem Thema gehören, will ich doch noch ein paar Worte sagen. Ich habe schon einmal angedeutet, dass wir mehr Mütter und mehr Menschenglück haben könnten, wenn wir nicht blos in der Ehe erzeugte Kinder gelten liessen. Man könnte doch weitherziger sein. Ich wenigstens würde Respect haben, wenn ein Mädchen sagte: das ist mein Kind, für das ich sorge, von wem ich es habe, geht euch nichts an. ‚Halt ein, Unseliger, du tastest die Grundlage des christlichen Staates an!‘ Hört auf mit der Lüge vom christlichen Staate, er ist so unchristlich wie möglich. Triefte nicht unser Leben von Lieblosigkeit und Heuchelei, so wäre auch eine vernünftige Versorgung der Mädchen leichter. Spricht man jetzt mit Eltern, die den sog. besseren Ständen
Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/67&oldid=- (Version vom 31.7.2018)