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explodirte sozusagen in der französischen Revolution. Gewiss war die Befreiung ein grosser Gewinn, aber alle Dinge haben zwei Seiten. An sich ist die Freiheit nichts als eine Verneinung, wird nichts erstrebt als Freiheit, so muss die Souveränetät des Individuum, die vollkommene Anarchie das Ende sein. Solange eine Bewegung wächst, wendet sich ihr die Hoffnung zu und sie erscheint den Hoffenden als durchaus gut. Keine Idee glänzt mehr als die der Freiheit, sie hat eine ganz unvergleichliche Kraft der Suggestion während des lawinenartigen Anschwellens des Liberalismus erlangt. Alles musste befreit werden, und schliesslich auch das Weib. Freiheit des Weibes heisst die berauschende Suggestion. Freiheit wovon? Natürlich von allen Banden, müsste es consequenterweise heissen, Freiheit von Vorurtheilen, Freiheit vom Manne, Freiheit vom Kinde. So consequent war man freilich nicht, es hiess zunächst: Menschenrechte. Dass es keine abstracten Menschen giebt, war gleichgiltig, das Weib sollte aufhören ein Weib zu sein, „ein freier Mensch“ werden. Mit diesem Köder werden heute noch die Fische gefangen. Bei näherer Betrachtung muss man sich sagen, dass es ein grosser Unterschied ist, ob der Mann oder das Weib sich bedingungslos der Suggestion der Freiheit ergiebt. Dem Manne, mag er ein körperlich herumschweifender Jäger, oder ein geistig herumschweifender Denker sein, ist ein gewisser Grad von Freiheit Lebensbedürfniss. Das natürliche Weib will gar keine Freiheit, ihr Glück hängt geradezu von der Gebundenheit ab. Das hängt mit der Verschiedenartigkeit der Zwecke zusammen. Der einseitige Liberalismus des Mannes ist eine Uebertreibung, ein Zuweitgehen auf dem rechten Wege, der des Weibes ist wider die Natur, ein falscher Weg. Man kann daher nicht sagen, dass der moderne Individualismus des Mannes, wenn er auch zu Verkehrtheiten führt, nothwendig krankhafte Beschaffenheit voraussetze. Man muss aber sagen, dass der weibliche Individualismus ohne diese nicht möglich sei. Worin besteht die krankhafte Beschaffenheit, die das Weib für die Suggestion der Freiheit empfänglich macht? In der modernen Nervosität. Ein wesentliches Merkmal der Form der Entartung, die wir Nervosität nennen, besteht in dem Unsicherwerden der natürlichen Triebe. Je gesünder der Mensch

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Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/57&oldid=- (Version vom 31.7.2018)