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am meisten davon? Die Weiber selbst? Ja und nein? Auf jeden Fall wird man sie hören müssen. Aber es sind zwei Fälle zu unterscheiden. Wenn ein Weib das Verhalten und die Handlungen eines anderen beurtheilt, so wird sie oft sehr scharfsichtig sein, schärfer sehen, als die meisten Männer. Jedoch gilt auch das nur unter der Bedingung, dass Beurtheilende und Beurtheilte auf gleicher Stufe stehen. Anders ist es mit der Selbst-Beurtheilung. Im allgemeinen ist das natürliche Weib weder geneigt, noch befähigt, Aussagen über ihr Inneres zu machen. Sie fühlt und handelt aus Gefühl, die Analyse ist ihr etwas Fremdes, ja Ungehöriges, durch die das Innere entweiht werden möchte. Erst ein gewisses Alter und ein gewisser Grad von höherer Kultur befähigen das Weib zur Selbstbeobachtung. Diese wird nicht selten vorzeitig erstrebt, aber dann kommen leicht sehr schiefe Ansichten und Unwahrheiten zu Tage, was man bei jungen Mädchen und Scheingebildeten oft genug beobachten kann. Es kommen also nur reife und hochgebildete Weiber in Betracht. Ihre ehrlichen Bekenntnisse sind sicher sehr werthvoll, aber es besteht hier die Gefahr, dass sie selbst und Andere die Selbstbeobachtungen unberechtigterweise verallgemeinern, ihre verfeinerte und veredelte Weise für weibliche Weise überhaupt halten. Auch wird selbst bei grosser Wahrheitliebe volle Wahrheit selten zu erzielen sein, da alle Menschen, und das Weib noch mehr als der Mann, einerseits Selbsttäuschungen unterliegen und andererseits sich geistig nie ganz ausziehen, immer etwas drapiren, auch vor den Nächsten. Am meisten Vertrauen dürfte ein Tagebuch verdienen, das zur Geheimhaltung bestimmt war, wider den Willen der Schreiberin, oder erst nach ihrem Tode bekannt wird. Und auch da muss man noch vorsichtig sein. Endlich kommen die Beobachtungen, die Weiber an ihresgleichen als objective Beobachter gemacht haben, in Betracht. Auch hier muss man daran denken, dass die weibliche Eigenart von Hause aus nicht auf Beobachtung gestimmt ist, dass das Weib sich von der Subjectivität durchschnittlich schwerer losmacht als der Mann. Sehen wir davon ab, so bleiben als Bedingungen geistige Befähigung einerseits, Erfahrung andererseits. Die meisten Weiber haben, abgesehen vom Familien- und Freundeskreise, nur in der Gesellschaft Gelegenheit

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Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/49&oldid=- (Version vom 31.7.2018)