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stehendes Theaterstück erfährt, so geschieht das fast nur durch seine Frau, welche liest, musizirt, Museen und klassische Theatervorstellungen besucht und jene edlere, geistig höherstehende Geselligkeit pflegt, für welche der grössere Theil der Männerwelt den Sinn nahezu vollständig verloren zu haben scheint. Wenn in den Häusern unserer besseren Stände – und von diesen kann ja hier doch nur allein die Rede sein – dem Kultus des Schönen überhaupt noch ein Winkelchen erhalten bleibt, so ist das nur der Frau zu verdanken, und doch soll sie, wie Dr. Möbius demonstrirt, wenn sie einmal erst einen Mann bekommen hat, nichts Eiligeres zu thun haben, als einfach – zu versimpeln.

Diese „Versimpelung“, das heisst das Einfältigwerden der Frau, tritt, der Ansicht des gelehrten Frauenfeindes nach, deshalb, nachdem sie einen Mann bekommen hat, ein, weil die Natur sie mit allen Gaben nur zu dem Zweck ausgerüstet hat, einen Mann, das heisst Jemanden zu finden, der die Sorge für sie auf sich nimmt. Sowie mit allen körperlichen Reizen, wurde sie für diesen Zweck auch mit geistigen Vorzügen ausgestattet, und um in diesem Kampfe zu siegen, so führt der gelehrte Professor aus, „ist der Geist des Mädchens erregt, feurig und scharf“. Hat sie aber das Ziel erreicht, einen Mann zu erhalten, so gehen ihre Geistesfähigkeiten, die alle auf diesen Einen Punkt gerichtet waren, zurück und haben nichts Eiligeres zu thun, als das, was der gelehrte Verfasser „versimpeln“ nennt, so dass, wie er sich nach Allem, was er schon gesagt hat, noch ziemlich höflich ausdrückt, aus dem oft glänzenden Mädchen eine „schlichte, harmlose Frau“ wird. Ich weiss nicht, woher Dr. Möbius seine diesfälligen Erfahrungen genommen hat, ich wenigstens habe das Gegentheil gesehen. Wie oft geschah es bereits Jedem von uns, dass er beim Anblicke einer herrlichen anmuthsreichen und geistvollen Frau plötzlich mit Erstaunen erkannte, dass sich der glänzende Schmetterling aus der unscheinbaren Chrysalide eines kaum beachteten Mädchens entwickelt habe. Das „Gänschen von Buchenau“ war durch die Metamorphose, welche die Liebe an ihr hervorgerufen hatte, zum Schwan geworden. Nicht „versimpelt“, sondern geistig erhöht wird die Frau durch die Liebe. Ist es doch eine oft genug gemachte Erfahrung, dass eine Schauspielerin, eine Sängerin oder Musikerin erst dann in ihrer Kunst den Zenith ihrer Leistungsfähigkeit erreicht, nachdem der Pfeil des Liebesgottes sie getroffen hat. Das war der Prometheusfunke, der eine Sappho zur Dichterin machte, der einer George Sand die Fähigkeit zu jenen glühenden poetischen Schilderungen gab, welche sie zu einer der bewundertsten Schriftstellerinnen erhob, die jene Fähigkeit tiefer Empfindung in sie legte, wie sie gebildete Frauen stets auszeichnete und sie in ihrem Gefühlsleben weit über das starke Geschlecht mit seiner gröberen Struktur stellt. Niemand wird einer Sarah Bernhardt, einer Duse nachsagen, dass sie noch diesseits des Rubikons der ersten Liebe stehen, aber ebensowenig wird man von ihnen behaupten können, dass sie, nachdem sie von dem Baume der Erkenntniss genossen, einfältig geworden sind, „versimpelt“, wie sich der Verfasser der erwähnten merkwürdigen Studie in wenig poetischer

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Paul Julius Möbius: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. 5. veränderte Auflage. Marhold, Halle a. S. 1903, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_%C3%9Cber_den_physiologischen_Schwachsinn_des_Weibes_(M%C3%B6bius).djvu/111&oldid=- (Version vom 31.7.2018)