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Ich betrachtete den Rahmen, das Bild von neuem. Ich saß auf meinem Bett und ließ die feingeschliffenen Bernsteinperlen im Lichte der Karbidlampe, die nach Boche Boches Bett hin durch ein Stück gebogene Pappe abgeblendet war, ihre zarten Strahlenbündel meine Sehnerven sanft reizen. Jetzt sagte ich mir, daß dieses Geschenk meiner Retterin doch unfehlbar zu meiner Person irgendwie in Beziehung stehen müsse. Allmählich überkam mich eine müde, träumerische Stimmung, wie auch behagliche Dämmerstunden sie erzeugen. Meine Gedanken entglitten mir gleichsam und wandelten ihre eigenen Wege, schlichen sich in meiner Jugend freudlose, ernste Tage zurück … Ich sah mich als kleines Bürschlein in einem Garten unter blühenden Obstbäumen stehen … Vor mir ein Mädelchen in weißem Kleidchen mit blonden üppigen Locken … Sie weinte, und wir hielten uns bei den Händen: Abschied zweier Jugendgespielen, schwerer, tränenreicher Abschied, denn mein Vater war in eine andere Stadt versetzt worden, und unser Häuschen, unseren Garten und die kleine Gerda Arnstör und deren jüngeres Schwesterlein, unsere lieben Nachbarn, würde ich vielleicht nie mehr wiedersehen.

Gerda Arnstör …

Mit einem Schlage war diese Jugendzeit in mir wieder zu frischem Leben erwacht, sogar der Name war mir zugeflogen ohne jegliches Bemühen.

Nun wußte ich, wer meine Retterin war, wen dieses Bild im Bernsteinrahmen darstellte. Ich selbst war’s. Ich selbst hatte Gerda das Bild damals beim Abschied geschenkt, und meine Mutter,

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Max Schraut: Das tote Hirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1930, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_tote_Hirn.pdf/79&oldid=- (Version vom 31.7.2018)