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seinen Handbewegungen, mit denen er Messer und Gabel bediente, den Blechnapf zum Munde führte und die Brotschnitten zerteilte, lag das Abgerundet-Sichere eines Mannes von tadelloser Kinderstube. Hinzu kam noch eine abgeklärte, halb träumerische Ruhe, und mitunter flackerte auch in dem stillen, in sich gekehrten Blick ein hartes Leuchten auf, das unfehlbar auf einen außerordentlich energischen, zielbewußten Charakter hinwies, der jetzt nur noch gleichsam in Fesseln lag – noch! Denn daß auch für diesen Ärmsten die Stunde kommen würde, wo sein totes Gedächtnis wieder auflebte und die Vergangenheit sich ihm wie ein bis dahin verschlossenes Paradies öffnete, daran zweifelte ich nicht. Es bedurfte vielleicht nur eines ganz geringfügigen, aber eben des rechten Anstoßes, um den Riegel von der versperrten Pforte des weiten Reiches früherer Erlebnisse wegzuschieben. Hatte man doch gerade bei solchen Kranken, die an derartigem Gedächtnisschwund infolge einer Kopfverletzung litten, die eigenartigsten Erfahrungen gemacht.

Abermals betrachtete ich nun verstohlen sein mageres faltiges Gesicht. Das noch feuchte braune Haar, in dem sich nur an den Schläfen einige Silberfäden zeigten, hatte er glatt zurückgestrichen. Die hohe, etwas eckige, kluge Stirn lag frei. Und unter dieser Stirn die grauen Augen – wohl das Seltsamste an diesem früh gealterten Antlitz mit den zahllosen Fältchen und dem verbitterten, vergrämten Zug um den ein wenig breiten Mund, dessen dünne Oberlippe in ihrer besonderen Linienführung dem Kenner noch eine weitere Seite des Charakters dieses Namenlosen mit einiger Gewißheit andeutete: ein wenig Hochmut – aber der

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Max Schraut: Das tote Hirn. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1930, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_tote_Hirn.pdf/38&oldid=- (Version vom 31.7.2018)