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Judenkönig bezeichnet? Das sind keine Übersetzungen mehr, sondern Eingriffe, über die jeder selbst das notwendige Urteil fällen mag. Auf Konto dieser Sorge kommt auch die Streichung von Geschichten, die aus irgendeinem Grunde heute als „jüdisch“ verschrieen sind, die also dem Sperrfeuer des Spottes unterliegen. Es wird also nicht der Versuch gemacht, die Zeitgenossen zu einem besseren Verständnis zu führen, sondern man gibt lieber die umkämpften Geschichten preis. Auf diese Weise entfallen die Gleichnisse vom Schatz im Acker, von den klugen und törichten Jungfrauen, vom reichen Mann und armen Lazarus. Das erstere wird verworfen, weil es sich ähnlich schon bei den Rabbinen findet, die beiden anderen entstammten der Anschauungswelt der „Stillen im Lande“, der Anawim, nicht der Anschauungswelt Jesu.

Wir wollen Grundmann nicht in den Arm fallen, wenn er die tiefen Gegensäte zwischen Jesus und dem Judentum seiner Zeit aufzeigt, wie er es ausführlich in seinem Buche „Jesus der Galiläer und das Judentum“ tut. Die christliche Gemeinde hat immer die Botschaft Jesu auf dem Hintergrunde der pharisäischen Frömmigkeit gesehen, und im Lebenswerk des Apostels Paulus wird es noch einmal deutlich, wie sehr der Gegensatz Jesu zum Gesetz die frohe Botschaft von der Gnade bestimmt. Aber was uns von Grundmann und allen seinen Freunden im tiefsten trennt, das ist seine Auffassung von dieser Auseinandersetzung. Für Grundmann ist die Botschaft Jesu nicht das endgültige Heraustreten Gottes aus seiner Verborgenheit, nicht die Vollendung einer von Anbeginn der Welt laufenden Heilsgeschichte. Eine Heilsgeschichte gibt es, wie wir schon feststellten, für Grundmann überhaupt nicht. Er könnte niemals das Bibelwort aufnehmen: „Nachdem vor Zeiten Gott manchmal und auf mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn.“ Für ihn gibt es keine Väter und keine Propheten, gibt es keine in bestimmten Einzelereignissen und in bestimmten Männern sich vollziehende Geschichte Gottes mit der Menschheit, es gibt in Wirklichkeit nur die Auseinandersetzung verschiedener Religionen. Zwischen Jesus und den Pharisäern geht es um den Gegensatz zweier Religionen, die nach ihrem Lebenswert zu fragen sind, die aber als solche zunächst nur Ereignisse auf dem Felde des menschlichen Geisteslebens sind. Die Botschaft Jesu wird nicht

Empfohlene Zitierweise:
Karl Fischer: Das Volkstestament der Deutschen Christen. Bekennende Evangelisch-luth. Kirche Sachsens, Dresden 1940, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Volkstestament_der_Deutschen_Christen.pdf/12&oldid=- (Version vom 28.7.2023)