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Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275

Das Tal der Tränen.
Erzählung nach einer wahren Begebenheit von Walter Kabel-Langfuhr.
(Fortsetzung.)

Die beiden mochten etwa fünf Minuten den vielfachen Windungen gefolgt sein und waren dem rötlichen Schein bereits ziemlich nahe gekommen, als das Mädchen lauschend stehenblieb. Richter strengte seine Ohren an, hörte jetzt ebenfalls vor ihnen das unterdrückte Wiehern eines Pferdes. Doch vergeblich reckte er sich in die Höhe, um den keine hundert Meter entfernten Lagerplatz zu überblicken. Mia war niedergekniet und bedeutete ihm durch einen Wink, dasselbe zu tun. „Wir müssen uns jetzt sehr vorsichtig weiterschleichen,“ flüsterte sie leise. „Mir war’s eben, als hörte ich auch Stimmen. Halten Sie sich eng hinter mir.“ Er wollte widersprechen, suchte sich an ihr vorbeizudrängen, doch fast unwillig raunte sie ihm zu: „Ich verstehe mich auf diese Art von Unternehmungen besser! Lassen Sie nur mir den Vortritt! Und vermeiden Sie jedes Geräusch!“ Langsam krochen sie über den weichen Sand hin. Einmal wäre Richter beinahe ein Ruf des Schreckens entfahren, als er sich einen Dorn tief in den Ballen der rechten Hand drückte. Bald wurden die Stimmen deutlicher, der Glanz eines niedrig gehaltenen Feuers schimmerte durch das Gesträuch, und ein beißender Rauch drang ihnen bei jedem Atemzug in die Lungen. Dann noch wenige Meter um eine scharfe Biegung, und der schmale Weg öffnete sich zu einem kleinen freien Platz. In der Mitte dieser ziemlich tiefen Mulde saßen um die brennenden Scheite vier Männer, während im Hintergrunde die dunkeln Leiber mehrerer Pferde sichtbar waren. Mia hatte nur einen Blick auf die Lagernden geworfen, als sie auch schon Richters Arm ergriff und ihn vorsichtig wieder zurück in den Schutz der Kaktussträucher zog. Indem sie ihren Mund ganz dicht seinem Ohr näherte, sagte sie kaum vernehmbar: „Burns und Wilson sind’s; die beiden andern kenne ich nicht. Wir wollen erst ein Stück zurückkriechen und dann beraten, was zu tun ist. Zweifellos haben wir die Pferdediebe vor uns. Famer Collins Braunen mit der Blesse kenne ich zu genau!“

Doch eine unerwartete Störung sollte ihre Entdeckung schneller herbeiführen, als sie es ahnen konnten. Denn plötzlich drängte sich der Wolfshund, der sich losgerissen hatte und ihren Spuren gefolgt war, freudig bellend zwischen sie und sprang wie toll um das Mädchen herum. Mia besann sich nicht lange, riß Richter, der noch unschlüssig zauderte, empor. Dann stürmten sie den Pfad zurück und kamen atemlos bei ihren Pferden an. In wenigen Sekunden hatten sie die Tiere losgekoppelt und waren aufgesessen. Der Hund mochte wohl an dem kräftigen Fußtritt, den der Detektiv ihm auf dem schnellen Rückzuge versetzt hatte und dem nicht gerade zarten Jagdhieb mit der Trense gemerkt haben, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung war, und verhielt sich jetzt vollkommen still, schlich mit eingezogenem Schweif hinter den beiden her, die in die freie Ebene hinauslenkten und nach rechts abbogen. Richter machte nach einer Weile in einem etwas tieferen Einschnitt des Kakteenfeldes Halt, stieg ab und band zunächst den Hund wieder fest, der sich dies kläglich winselnd gefallen ließ. Als der Detektiv sich wieder aufrichtete, blickte er zu Mia empor, die noch im Sattel saß und ihm ruhig zugeschaut hatte. „Wollen Sie mir den Gefallen tun und hier jetzt auf die Pferde aufpassen,“ sagte er merklich gereizt. „Ich will versuchen, den Fehler wieder wettzumachen, den wir mit unserer übereilten Flucht vorhin begangen haben. Denn ich könnte mich ja nie mehr in Frisco sehen lassen, wenn mir diese beiden Schurken entfliehen sollten, die der verflixte Köter so schön gewarnt hat! Nehmen Sie’s mir nicht übel, Fräulein Mia,“ setzte er etwas weniger schroff hinzu, „ich kann nicht anders, denn ich habe eingesehen, daß den Frauen in solchen Momenten zu sehr die kühle Überlegung fehlt!“ – Das Mädchen hatte sich tief herabgebeugt und versuchte Richter in das Gesicht zu sehen. „Sie sind ärgerlich, Master Richter!“ sagte sie jetzt ohne jede Verlegenheit. „Ärgerlich auf mich? Und sprechen von einer übereilten Flucht! Ja, wollten Sie sich denn etwa dort in dem Dickicht unnötig den Kugeln der Männer aussetzen, die doch sicher bereits beim ersten Anschlagen des Hundes zu ihren Gewehren gegriffen hatten? Ich weiß, was Sie beabsichtigen. Sie wollten den Vieren mit dem schönen Kommando: „Hände hoch!“ kommen, wären aber beim ersten Laut von vier Schüssen begrüßt worden, von denen doch einer trotz des unsicheren Zieles hätte treffen können! Habe ich recht oder nicht? Sehen Sie, Sie schweigen. Nein, das, was wir taten, war in diesem Falle das Richtige. Nur mit dieser von Ihnen geplanten Fortführung unseres Unternehmens bin ich nicht einverstanden. Wir müssen näher an den Ausgang zurück, der dort drüben in die Steppe mündet. Ich dachte, daß Sie hier nur den Hund, der uns zu leicht nochmals verraten kann, an einen stärkeren Busch anbinden und dann zur Beobachtung des Pfades zurückkehren wollten. Denn es ist ganz zweifellos, daß die vier

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Tal der Tränen. In: Neues Deutsches Familienblatt, Jahrgang 1908, Heft 27–34, S. 209–210, 217–218, 225–226, 233–234, 241–242, 257–259, 265–266, 273–275. W. Kohlhammer, Stuttgart 1908, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tal_der_Tr%C3%A4nen.pdf/14&oldid=- (Version vom 31.7.2018)