Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/173

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der Reformator kommen, der sie reinigt und sie auf sich selbst zurückführt. Diese kritische Reduktion hat im 16. Jahrhundert Luther vollzogen, indem er siegreich erklärte: die christliche Religion ist einzig gegeben in dem Worte Gottes und in dem innern Erlebnis, welches diesem Worte entspricht.

Der zweite Punkt lag in der bestimmten Fassung des „Wortes Gottes“ und des „Erlebnisses“. Jenes „Wort“ war ihm nicht die Kirchenlehre, auch nicht die Bibel, sondern die Verkündigung von der freien Gnade Gottes in Christus, die den schuldigen und verzweifelnden Menschen fröhlich und selig macht, und das „Erlebnis“ war eben die Gewißheit dieser Gnade. Im Sinne Luthers faßt sich beides in einem Satz zusammen: Der zuversichtliche Glaube, einen gnädigen Gott zu haben. Damit – so hat er es erfahren und so hat er es gepredigt – ist der innere Zwiespalt im Menschen gehoben, der Druck jeglichen Übels überwunden, das Schuldgefühl ausgetilgt und trotz der Unvollkommenheit der eigenen Leistungen die Gewißheit, mit dem heiligen Gott untrennbar verbunden zu sein, gewonnen:

Nun weiß und glaub’ ich’s feste,
Ich rühm’s auch ohne Scheu,
Daß Gott, der Höchst’ und Beste,
Mein Freund und Vater sei,
Und daß in allen Fällen
Er mir zur Rechten steh’
Und dämpfe Sturm und Wellen
Und was mir bringet Weh.[WS 1]

Nichts anderes soll gepredigt werden als der gnädige Gott, mit dem wir durch Christus versöhnt sind, und wiederum nicht Ekstasen und Visionen gilt es, kein Überschwang von Gefühlen ist nötig, sondern Glaube soll erweckt werden; er soll Anfang, Mitte und Ende der ganzen Frömmigkeit sein. In der Korrespondenz von Wort und Glaube wird die „Rechtfertigung“ erlebt; sie ist darum das Hauptstück der reformatorischen Verkündigung; sie bedeutet nichts Geringeres, als durch Christus Frieden und Freiheit in Gott erlangt zu haben, Herrschaft über die Welt und innere Ewigkeit.

Das Dritte endlich in dieser Erneuerung war die mächtige

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Paul Gerhardt, Ist Gott für mich, so trete (EG 351,2).
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/173&oldid=- (Version vom 30.6.2018)