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satze zum Katholizismus verstanden werden, und zwar ist er hier in doppelter Richtung zu würdigen, erstlich als Reformation und zweitens als Revolution. Reformation ist er gewesen in Bezug auf die Heilslehre, Revolution in Bezug auf die Kirche, ihre Autorität und ihren Apparat. Der Protestantismus ist somit keine spontane, gleichsam durch eine generatio aequivoca erzeugte Erscheinung, sondern er ist, wie schon sein Name besagt, durch die unerträglich gewordenen Mißstände der katholischen Kirche hervorgerufen worden und ist der Abschluß einer langen Reihe ihm verwandter, aber unkräftiger Reformversuche des Mittelalters. Beweist er bereits durch diese geschichtliche Stellung seine Kontinuität mit der Vergangenheit, so tritt diese noch stärker in seiner eigenen, nicht unzutreffenden Behauptung zu Tage, er sei in Bezug auf die Religion kein Neuerer, sondern habe erneuert. Aber auf die Kirche und ihre Autorität gesehen, ist er unzweifelhaft revolutionär aufgetreten. Also ist er in beiden Beziehungen zu würdigen.

1. Reformation, d. h. Erneuerung ist der Protestantismus gewesen in Bezug auf den Kern der Sache selbst, in Bezug auf die Religion und darum auf die Heilslehre. Es läßt sich das vornehmlich an drei Punkten zeigen.

Erstlich: Die Religion ist hier wieder auf sich selbst zurückgeführt worden, sofern das Evangelium und das ihm entsprechende religiöse Erlebnis in den Mittelpunkt gerückt und von fremder Zuthat befreit worden sind. Aus dem ungeheuren, weitschichtigen Gefüge, das man bisher „Religion“ genannt hatte, aus jenem Gefüge, welches das Evangelium und das Weihwasser, das allgemeine Priestertum und den thronenden Papst, den Erlöser Christus und die heilige Anna umfaßte, ist die Religion herausgeführt und auf ihre wesentlichen Faktoren reduziert worden, auf das Wort Gottes und den Glauben. Kritisch wurde diese Erkenntnis geltend gemacht gegenüber allem, was auch „Religion“ sein und sich gleichwertig mit jenen Größen verbinden wollte. Jegliche wirklich bedeutende Reformation in der Geschichte der Religionen ist in erster Linie stets kritische Reduktion; denn im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung zieht die Religion, indem sie sich den Verhältnissen anpaßt, sehr viel Fremdes an sich, produziert mit ihm zusammen eine Fülle von Zwitterhaftem und Apokryphem und stellt es notgedrungen unter den Schutz des Heiligen. Soll sie nicht üppig verwildern oder in ihrem eigenen dürren Laube ersticken, so muß

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Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/172&oldid=- (Version vom 30.6.2018)