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Vierzehnte Vorlesung.




Die christliche Religion im römischen Katholizismus.

soll uns in der heutigen Vorlesung beschäftigen.

Die römische Kirche ist das umfassendste und gewaltigste, das komplizierteste und doch am meisten einheitliche Gebilde, welches die Geschichte, soweit wir sie kennen, hervorgebracht hat. Alle Kräfte des menschlichen Geistes und der Seele und alle elementaren Kräfte, über welche die Menschheit verfügt, haben an diesem Bau gebaut. Der römische Katholizismus ist durch seine Vielseitigkeit und seinen strengen Zusammenschluß dem griechischen weit überlegen. Wir fragen wiederum:

Was hat die römisch-katholische Kirche geleistet?

Wodurch ist sie charakterisiert?

Welche Modifikationen hat das Evangelium in ihr erlebt, und was ist von ihm geblieben?

Was hat die römisch-katholische Kirche geleistet? Nun zunächst – sie hat die romanisch-germanischen Völker erzogen und zwar in einem anderen Sinn als die östliche Kirche die Griechen, Slaven und Orientalen. Mag auch die ursprüngliche Anlage, mögen elementare und geschichtliche Verhältnisse jene Völker begünstigt und ihren Aufstieg mitbewirkt haben, das Verdienst der Kirche wird darum nicht geringer. Sie hat den jugendlichen Nationen die christliche Kultur gebracht, und nicht nur einmal gebracht, um sie dann auf der ersten Stufe festzuhalten – nein, sie hat ihnen etwas Fortbildungsfähiges geschenkt, und sie hat selbst diesen Fortschritt in einem fast tausendjährigen Zeitraum geleitet. Bis zum 14. Jahrhundert ist sie Führerin und Mutter gewesen; sie hat die Ideen

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Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/157&oldid=- (Version vom 30.6.2018)