hat nicht nur etwas Wesentliches eingebüßt, nein sie ist auf ein ganz anderes Niveau geraten; sie ist auf jene Stufe herabgedrückt, auf der der Satz gilt: Religion ist Kultus, nichts anderes.
Das griechisch-orientalische Christentum birgt jedoch ein Element in sich, das Jahrhunderte hindurch fähig gewesen ist, dem verbündeten Traditionalismus, Intellektualismus und Ritualismus einen gewissen Widerstand zu leisten, ja ihn heute noch hie und da leistet – das ist das Mönchtum. Der griechische Christ antwortet auf die Frage, wer Christ im höchsten Sinn des Wortes sei: der Mönch. Wer sich im Schweigen übt und im Reinsein, wer nicht nur die Welt flieht, sondern auch die Weltkirche, wer nicht nur die falsche Lehre vermeidet, sondern auch das Reden über die richtige, wer da fastet, kontempliert und unverrückt wartet, bis seinem Auge der Lichtglanz Gottes aufgeht, wer nichts für wertvoll hält als die Stille und das Nachdenken über das Ewige, wer nichts vom Leben verlangt als den Tod, wer aus solcher vollkommenen Selbstlosigkeit und Reinheit Barmherzigkeit hervorquellen läßt – der ist der Christ. Für ihn ist auch die Kirche nicht schlechthin notwendig und die Weihe, die sie spendet. Die ganze geheiligte Weltlichkeit ist einem solchen entschwunden. In diesen Asketen hat die Kirche fort und fort Erscheinungen erlebt von solcher Kraft und Zartheit der religiösen Empfindung, so erfüllt von dem Göttlichen, so innerlich thätig, sich nach gewissen Zügen des Bildes Christi zu bilden, daß man wohl sagen darf: hier lebt die Religion, und sie ist des Namens Christi nicht unwürdig. Wir Protestanten dürfen uns nicht sofort an der Form des Mönchtums stoßen. Die Bedingungen, unter denen unsere Kirche entstanden ist, haben uns ein herbes und einseitiges Urteil über dasselbe auferlegt. Und ob wir auch berechtigt sein mögen, es für die Gegenwart und unsern Aufgaben gegenüber festzuhalten – auf andere Verhältnisse dürfen wir es nicht ohne weiteres anwenden. Ein Ferment und ein Gegengewicht innerhalb jener traditionalistischen und ritualistischen Weltkirche, wie es die griechische Kirche gewesen ist und noch ist, konnte nur das Mönchtum sein. Hier war Freiheit, Selbständigkeit und lebendige Erfahrung möglich; hier behielt die Erkenntnis ihr Recht, daß in der Religion nur das Erlebte und das Innerliche Wert hat.
Aber – die wertvolle Spannung, die innerhalb dieses Teils
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/153&oldid=- (Version vom 30.6.2018)