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bestandes, ohne welchen die christliche Religion so ungenügend wäre, wie alle anderen. Die Lehren von der wesensgleichen Trinität – wie es zur Lehre vom heiligen Geist gekommen ist, mag hier auf sich beruhen – und von der Gottmenschheit des Erlösers entsprechen genau der eigentümlichen Vorstellung von der Erlösung als einer wesenhaften Vergottung durch Unsterblichkeit. Ohne diese Vorstellung wäre es niemals zu jenen Formeln gekommen; aber sie stehen und fallen auch mit ihr. Sie haben sich aber nicht durchgesetzt um ihrer Verwandtschaft mit der griechischen Philosophie willen, sondern im Gegensatz zu ihr. Die griechische Philosophie hat nie gewagt und nie daran gedacht, dem Wunsche nach Unsterblichkeit, den sie so lebhaft empfand, in irgendwie ähnlicher Weise durch „Geschichte“ und Spekulation entgegenzukommen. Ganz mythologisch und abergläubisch mußte sie es anmuten, einer geschichtlichen Persönlichkeit und ihrem Erscheinen einen solchen Eingriff in den Kosmos beizulegen und ihr eine Umwandlung des ein für allemal Gegebenen und ewig Fließenden zuzuschreiben. Das „allein Neue unter der Sonne“ mußte ihr als die schlimmste Fabel erscheinen und ist ihr so erschienen.

Die griechische Kirche ist heute noch davon überzeugt, in diesen Lehren das Wesen des Christentums als Geheimnis und als enthülltes Geheimnis zugleich zu besitzen. Die Kritik dieser Behauptung ist nicht schwer. Anerkannt soll werden, daß jene Lehren mächtig dazu beigetragen haben, die christliche Religion vor dem Zerfließen in die griechische Religionsphilosophie zu schützen, ferner, daß der absolute Charakter dieser Religion an ihnen eindrucksvoll deutlich wird, weiter, daß sie der griechischen Erlösungsvorstellung wirklich entsprechen, endlich, daß diese Vorstellung selbst eine ihrer Wurzeln im Evangelium hat. Aber darüber hinaus läßt sich nichts anerkennen; es ist vielmehr zu sagen: 1. die Vorstellung von der Erlösung als Vergottung der sterblichen Natur ist unterchristlich, weil ihr sittliche Momente im besten Fall nur angefügt werden können, 2. die ganze Lehre ist unannehmbar, weil sie mit dem Jesus Christus des Evangeliums kaum zusammenhängt, und ihre Formeln auf ihn nicht passen; sie entspricht also nicht dem Wirklichen, 3. sie führt, weil sie nur durch unsichere Fäden mit dem wirklichen Christus zusammenhängt, von ihm ab: sie erhält nicht sein Bild lebendig, sondern sie verlangt, daß man dieses Bild lediglich in angeblichen Voraussetzungen erkenne, die in

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Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/150&oldid=- (Version vom 30.6.2018)