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Dreizehnte Vorlesung.




Wir haben bisher festgestellt, daß der griechische Katholizismus als Religion durch zwei Elemente charakterisiert ist, durch den Traditionalismus und den Intellektualismus. Nach dem Traditionalismus ist die pietätsvolle und jede Neuerung abwehrende Bewahrung des überlieferten Erbes nicht nur etwas Wichtiges, sondern bereits die Bethätigung der Religion selbst. Das ist ganz antik gedacht und ist dem Evangelium fremd; denn dieses weiß schlechterdings nichts davon, daß an die Pietät gegen eine Überlieferung an sich der Verkehr mit der Gottheit gebunden ist. Aber auch das zweite Element, der Intellektualismus, ist griechischer Herkunft. Die Ausspinnung des Evangeliums zu einer großen Gott-Welt-Philosophie, in welcher alle denkbaren Materien behandelt werden, die Überzeugung, daß, weil die christliche Religion die absolute ist, sie auch auf alle Fragen der Metaphysik, Kosmologie und Geschichte Auskunft geben müsse, die Betrachtung der Offenbarung als einer unübersehbaren Menge von Lehren und Aufschlüssen, alle gleich heilig und wichtig – das ist griechischer Intellektualismus. Nach ihm ist ja die Erkenntnis das Höchste, und der Geist ist nur Geist als erkennender: alles Ästhetische, Ethische und Religiöse muß umgesetzt werden in ein Wissen, dem dann der Wille und das Leben mit Sicherheit folgen werden. Die Entwicklung des christlichen Glaubens zu einer alles umspannenden Theosophie und die Identifizierung von Glaube und Glaubenswissen ist ein Beweis, daß die christliche Religion auf griechischem Boden in den Bannkreis der dort heimischen Religionsphilosophie eingetreten und in ihm verblieben ist.

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Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/146&oldid=- (Version vom 30.6.2018)