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dem „Buch“ niemals verlieren. Was wir noch heute spezifisch-katholische Frömmigkeit im Unterschied von evangelischer nennen, hat damals seinen Ursprung genommen. Die Unmittelbarkeit der Religion hat einen Sprung bekommen, und dem einzelnen ist es außerordentlich schwer gemacht, sie für sich wieder herzustellen.

2. Die akute Hellenisierung wurde abgewehrt, aber der griechisch-philosophische Gedanke, daß die wahre Religion in erster Linie „Lehre“ sei und zwar Lehre, die sich über den gesamten Kreis des Wissens erstrecke, fand immer mehr Eingang in die Christenheit. Es lag gewiß darin ein Beweis für die innere Kraft der christlichen Religion, daß dieser Glaube „der Sklaven und alten Weiber“ die ganze griechische Gott-Welt-Philosophie an sich zog und als seinen eigenen Inhalt umzuschmelzen und mit der Predigt von Jesus Christus zu vereinigen unternahm; aber eine Verschiebung des Grundinteresses der Religion und eine ungeheure Belastung mußten die Folge sein. Die Frage: „Was muß ich thun, daß ich selig werde“[WS 1], die Jesus Christus und die Apostel noch sehr kurz zu beantworten vermochten, erhielt nun eine sehr weitläufige Antwort, und mochten auch die Laien noch mit kürzeren Antworten bedacht werden – in dem Maße galten sie als die Unvollkommenen, die auf den Gehorsam den Wissenden gegenüber angewiesen seien. Die christliche Religion hat schon damals jene Richtung auf den Intellektualismus erhalten, die ihr in der Folgezeit geblieben ist. Wenn sie sich aber als ein „lang, breit ausgestreckt Ding“ darstellt, als eine schwierige und weitschichtige Lehre, so ist sie nicht nur belastet, sondern ihr Ernst droht auch zu schwinden; dieser haftet daran, daß das erschütternde und das beseligende Element unmittelbar zugänglich erhalten wird. Gewiß hat diese Religion den Trieb in sich, sich mit allen Erkenntnissen und mit dem gesamten geistigen Leben auseinanderzusetzen, aber wenn das, was hier gewonnen wird – vorausgesetzt selbst, es entspräche stets der Wirklichkeit und Wahrheit –, für gleich verbindlich gilt wie die evangelische Botschaft oder gar für ihre Voraussetzung, so leidet die Religion Schaden. Dieser Schade ist bereits am Anfang des 3. Jahrhunderts unverkennbar.

3. Das Kircheninstitut erhielt einen besonderen, selbständigen Wert; es wurde zu einer religiösen Größe. Ursprünglich lediglich Ausgestaltung der Brudergemeinde, Stätte und Form für die gemeinsame Gottesverehrung, und geheimnisvolle Abschattung der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mt 19,16.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/136&oldid=- (Version vom 30.6.2018)