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bot. Und die politische Religion! Die ganze Macht des Staates stand hinter dem Kaiserkult, und es schien so leicht und ungefährlich, mit ihm zu paktieren – aber die Kirche hat keinen Schrittbreit nachgegeben; sie hat die kaiserlichen Staatsgötzen abgethan. Das Blut der Märtyrer ist geflossen, damit eine unverrückbare Grenze entstände zwischen der Religion und der Politik, zwischen Gott und dem Kaiser. Endlich, die Kirche hat sich inmitten einer religionsphilosophisch tief bewegten Zeit gegenüber allen dualistischen Spekulationen behauptet und ihnen, die oft ihren eigenen Aufstellungen scheinbar so nahe kamen, in heißem Ringen die monotheistische Betrachtung entgegengesetzt. Hier aber war der Kampf um so schwerer, als viele und zwar gerade sehr hervorragende und begabte Christen mit dem Gegner gemeinsame Sache machten und selbst Dualisten wurden. Die Kirche blieb fest. Nimmt man nun noch hinzu, daß sie trotz dieser Gegenbewegungen gegen den griechisch-römischen Geist es doch verstanden hat, eben diesen Geist an sich zu fesseln – anders als das Judentum, von dessen Wirken auf das Griechentum das Wort gilt: „Du hast die Kraft mich anzuziehn besessen, doch mich zu halten hast du keine Kraft“[WS 1] –, nimmt man ferner hinzu, daß im zweiten Jahrhundert die Grundlagen für alles „Kirchliche“ bis auf den heutigen Tag gelegt worden sind, so kann man nur staunen über die Größe der Leistung, die damals vollbracht worden ist.


Wir kehren zu den beiden Fragen zurück, die wir aufgeworfen haben: „Wie hat sich die große Wandlung vollzogen?“ und „Hat sich das Evangelium unter diesem Wechsel der Dinge behauptet, bezw. wie hat es sich behauptet?“

1. Es sind, wenn ich recht sehe, drei Hauptmomente, die den großen Umschwung herbeigeführt und die Bildung neuer Formen bewirkt haben. Das erste entspricht einem allgemeinen Gesetze in der Religionsgeschichte; denn wir treffen es in der Entwicklung jeder Religion. Wenn die zweite und dritte Generation vorübergegangen ist, wenn hunderte ja Tausende nicht mehr durch Bekehrung, sondern durch Überlieferung und Geburt zu der neuen Religion gehören – trotz Tertullian’s Wort: fiunt, non nascuntur Christiani[WS 2] –, wenn neben die, welche den Glauben ergriffen haben wie einen Raub, in großer Zahl solche treten, die ihn festhalten wie ein äußeres Gewand, dann tritt stets ein Umschwung der Dinge

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Der Tragödie Erster Teil, Nacht, Z. 624f.:

    Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;
    So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.

  2. Tertullian (um 150–230), Apologeticus 18. Zu Deutsch: „Man wird Christ, aber man wird nicht als solcher geboren.“
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/127&oldid=- (Version vom 30.6.2018)