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großen Grundverhältnissen des menschlichen Lebens soll sich der christliche Charakter bewähren; sie sollen gestärkt werden und sollen getragen und durchleuchtet sein von dem Geist. In den Beziehungen der Männer zu ihren Frauen, der Frauen zu den Männern, der Eltern zu den Kindern, der Herren zu den Knechten, ferner in dem Verhältnis zur Obrigkeit, zur umgebenden heidnischen Welt und wiederum zu den Witwen und Waisen soll sich der „Gottesdienst“ bewähren. Wo haben wir sonst ein Beispiel in der Geschichte, daß eine Religion einsetzt mit solcher Kräftigkeit des überweltlichen Bewußtseins und zugleich die sittlichen Grundlagen des irdischen Gemeinschaftslebens so befestigt hat wie diese Verkündigung? Wen die Glaubenspredigt der neutestamentlichen Schriftsteller nicht innerlich ergreift, der muß doch im Tiefsten bewegt werden von der Lauterkeit, dem Reichtum, der Kraft und der Zartheit der sittlichen Erkenntnis, welche ihren Ermahnungen einen unvergleichlichen Wert verleihen.

Auf ein weiteres Moment ist hier noch zu achten. Die ältesten Christen lebten in der Erwartung der nahen Wiederkunft Christi. Diese Hoffnung war ein außerordentlich starkes Motiv, weltliche Dinge, Leid und Freud dieser Erde, gering zu achten. Sie haben sich in ihrer Erwartung getäuscht – das ist ohne Klausel einzuräumen –, aber sie ist doch ein höchst wirksamer Hebel gewesen, um sie über die Welt zu erheben, um sie zu lehren, das Kleine klein und das Große groß zu nehmen, Zeitliches und Ewiges zu unterscheiden. Es ist eine sich wiederholende Erscheinung in der Religionsgeschichte, das sich mit einem neuen, großen religiösen Motiv, welches an sich schon durchschlagend wirkt, ein Koeffizient verbindet, der diese Wirkung noch erhöht und befestigt. Welch ein Hebel ist immer wieder seit den Tagen Augustin’s, so oft sich das religiöse Erlebnis von Sünde und Gnade erneuerte, der Prädestinationsgedanke gewesen, der doch keineswegs auf dem Erlebnis selbst geschöpft ist! Wie hat das Erwählungsbewußtsein die Scharen Cromwell’s begeistert und die Puritaner diesseits und jenseits des Ozeans gekräftigt, und auch dieses Bewußtsein war nur ein Koeffizient! Wie hat die Armutslehre die neue Frömmigkeit unterstützt, welche sich aus dem religiösen Erlebnisse des heiligen Franziskus im Mittelalter entwickelt hat, und doch ist sie eine Kraft für sich gewesen! Diese Koeffizienten – man kann im apostolischen Zeitalter auch die Überzeugung, den Herrn nach seinem

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Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/112&oldid=- (Version vom 30.6.2018)