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Zehnte Vorlesung.




Die Urgemeinde glaubte an Jesus als ihren Herrn und brachte in diesem Bekenntnis ihre unbedingte Hingabe und die Zuversicht zu ihm als dem Fürsten des Lebens zum Ausdruck; jeder einzelne Christ stand in einer unmittelbaren Verbindung mit Gott durch den Geist – Priester und Vermittelungen waren nicht mehr nötig; endlich, diese „Heiligen“ waren zusammengeschlossen zu Verbänden, die sich zu einem sittenstrengen Leben in Reinheit und Brüderlichkeit verpflichteten. Zu diesem letzten Punkt noch ein kurzes Wort.

Es ist ein Beweis für die Innerlichkeit und die sittliche Kraft dieser neuen Predigt, daß trotz dem Enthusiasmus, der aus dem Erlebnis der Religion hervorbrach, extravagante Erscheinungen und stürmische Bewegungen verhältnismäßig selten zu bekämpfen waren. Es mag sein, daß sie häufiger gewesen sind, als die direkten Angaben unserer Quellen vermuten lassen, aber die Regel bildeten sie nicht; auch ist der Apostel Paulus gewiß nicht der einzige gewesen, der besorgt war, sie, wenn sie auftauchten, zu beruhigen. Zwar den „Geist“ wollte er nicht dämpfen; aber wenn der Enthusiasmus zur Arbeitsscheu zu führen drohte wie in Thessalonich, oder wenn das Reden in der Ekstase sich hervordrängte wie in Korinth, da hat er nüchtern ermahnt: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“[WS 1] und „Fünf verständliche, zur Erbauung dienende Worte sind mehr wert als zehntausend unverständlich hervorgesprudelte“[WS 2]. Aber noch deutlicher tritt die gesammelte Ruhe und die Kraft der Leitenden in den sittlichen Ermahnungen hervor, wie wir sie nicht nur in den paulinischen Briefen, sondern z. B. auch im 1. Petrusbrief und im Jakobusbrief lesen. In den einfachen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. 2. Thess 3,10.
  2. 1. Kor 14,19.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/111&oldid=- (Version vom 30.6.2018)