Welt unbefleckt behalten“[WS 1], das ist die Askese, die sie trieb und forderte. Das andere aber ist die Brüderlichkeit. Einen neuen Bund der Menschen untereinander hat schon Jesus selbst ins Auge gefaßt, wenn er in seinen Sprüchen die Gottesliebe und die Nächstenliebe in eins gebunden hat. Die ältesten Christen haben ihn verstanden. Sie haben sich nicht nur in Worten, sondern auch in Thaten – in lebendiger Verwirklichung – von Anfang an als ein Bruderbund konstituiert. Indem sie sich „Brüder“ nannten, empfanden sie alle Verpflichtungen, die dieser Name auferlegt, und suchten ihnen zu entsprechen, nicht durch gesetzliche Bestimmungen, sondern durch freiwillige Dienstleistung, ein jeder nach Maßgabe seiner Kräfte und Gaben. Daß man in Jerusalem sogar bis zu einer freiwilligen Gütergemeinschaft vorgeschritten sei, erzählt die Apostelgeschichte; Paulus sagt nichts darüber, und wenn der uns klare Bericht wirklich zuverlässig sein sollte, so haben doch weder Paulus noch die heidenchristlichen Gemeinden das Unternehmen für vorbildlich gehalten. Neue äußere Ordnungen der Lebensverhältnisse schienen nicht gefordert und nicht ratsam. Die Brüderlichkeit, welche „die Heiligen“ pflegen sollten und pflegten, war durch zwei Grundsätze bezeichnet: „So ein Glied leidet, so sollen die anderen mitleiden“[WS 2], und „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“[WS 3].
Anmerkungen (Wikisource)
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/110&oldid=- (Version vom 30.6.2018)