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bunden gewesen, so überwältigend wie niemals später wieder. Ob der Apostel die Botschaft vom leeren Grabe gekannt hat? Angesehene Theologen bezweifeln es, mir ist es wahrscheinlich; aber eine völlige Sicherheit läßt sich nicht gewinnen. Sicher ist, daß er und die Jünger vor ihm nicht auf den Befund des Grabes, sondern auf die Erscheinungen das entscheidende Gewicht gelegt haben. Aber wer kann unter uns behaupten, daß er sich nach den Erzählungen des Paulus und der Evangelien ein deutliches Bild von diesen Erscheinungen machen könne, und wenn das unmöglich und keine Überlieferung einzelner Vorgänge absolut sicher ist, wie will man den Osterglauben auf sie gründen? Entweder man muß sich entschließen, auf Schwankendes, auf etwas, was immer wieder neuen Zweifeln ausgesetzt ist, seinen Glauben zu stellen, oder man muß diese Grundlage aufgeben, mit ihr aber auch das sinnliche Wunder. An den Wurzeln der Glaubensvorstellungen liegt auch hier die Wahrheit und Wirklichkeit. Was sich auch immer am Grabe und in den Erscheinungen zugetragen haben mag – eines steht fest: von diesem Grabe her hat der unzerstörbare Glaube an die Überwindung des Todes und an ein ewiges Leben seinen Ursprung genommen. Man verweise nicht auf Plato, nicht auf die persische Religion und die spätjüdischen Gedanken und Schriften. Das alles wäre untergegangen und ist untergegangen; aber die Gewißheit der Auferstehung und eines ewigen Lebens, die sich an das Grab im Garten des Joseph knüpft, ist nicht untergegangen, und die Überzeugung, Jesus lebt, begründet noch heute die Hoffnungen auf das Bürgerrecht in einer ewigen Stadt, die das irdische Leben lebenswert und erträglich machen. „Er hat die erlöst, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mußten“[WS 1] – bekennt der Verfasser des Hebräerbriefs. Das ist es. Und – mag’s auch nicht ausnahmslos gelten: wo heute noch wider alle Eindrücke der Natur ein starker Glaube an den unendlichen Wert der Seele vorhanden ist, wo der Tod seine Schrecken verloren hat, wo die Leiden dieser Zeit gemessen werden an einer zukünftigen Herrlichkeit, da ist diese Lebensempfindung geknüpft an die Überzeugung, daß Jesus Christus durch den Tod hindurchgedrungen ist, daß Gott ihn erweckt und zu Leben und Herrlichkeit erhoben hat. Und wie kann man es sich anders vorstellen, als daß auch für die ersten Jünger der letzte Grund ihres Glaubens an den lebendigen Herrn die Kraft gewesen ist,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hebr 2,15.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/106&oldid=- (Version vom 30.6.2018)