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Gerechtigkeit schaffen, daß er von den quälenden inneren Lasten befreien werde, wurde erhofft. Daß es im jüdischen Volke damals Gläubige gegeben hat, die einen solchen Messias erwarteten oder doch nicht von vornherein ablehnten, zeigt uns bereits die Geschichte Johannes’ des Täufers, wie wir sie in unseren Evangelien lesen. Wir erfahren aus ihr, daß einige geneigt gewesen sind, diesen Johannes für den Messias zu halten. Wie elastisch müssen die messianischen Vorstellungen gewesen sein und wie stark müssen sie sich in gewissen Kreisen von ihren Ursprüngen entfernt haben, wenn man diesen ganz unköniglichen Bußprediger im Mantel von Kamelshaaren, ihn, der dem entarteten Volke lediglich das nahe Gericht ankündigte, für den Messias selbst halten konnte! Und wenn wir weiter in den Evangelien lesen, daß nicht wenige im Volke Jesus für den Messias gehalten haben, nur weil er gewaltig predigte und durch Wunderthaten heilte – wie gründlich erscheint da das messianische Bild geändert! Freilich, sie sahen in diesem Heilandswirken nur den Anfang, sie erwarteten, daß dieser Wunderthäter nun bald die letzte Hülle abwerfen und „das Reich aufrichten“[WS 1] werde; aber schon dies genügt hier, daß sie einen Mann, dessen Herkunft und bisheriges Leben sie kannten und der noch nichts gethan hatte als Buße zu predigen, die Nähe des Himmelreichs zu verkündigen und zu heilen, als den Verheißenen zu begrüßen vermochten. Niemals werden wir ergründen, durch welche innere Entwicklung Jesus von der Gewißheit, der Sohn Gottes zu sein, übergegangen ist zu der anderen, der verheißene Messias zu sein. Aber die Einsicht, daß damals auch bei anderen die Vorstellung vom Messias durch eine langsame Umwandlung ganz neue Züge erhalten hatte und sich aus einer politisch-religiösen Idee in eine geistig-religiöse umsetzte – diese Einsicht befreit doch das Problem aus seiner völligen Isolierung. Daß Johannes der Täufer, daß die zwölf Jünger Jesus als den Messias anerkannt haben, daß sie nicht diese Form für die absolute Wertschätzung seiner Person verworfen, sondern sie sich vielmehr in eben dieser Form fixiert haben, ist ein Beweis dafür, wie beweglich die messianische Idee damals gewesen ist, und erklärt es daher auch, daß Jesus selbst sie aufnehmen konnte. Robur in infirmitate perficitur[WS 2]: daß es eine göttliche Kraft und Herrlichkeit giebt, die keiner irdischen Macht und keines irdischen Glanzes bedarf, ja sie ausschließt, daß es eine Majestät des Heiligen und der Liebe giebt, die diejenigen, welche sie ergreift,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vgl. Apg 1,6.
  2. Zu Deutsch etwa: „Die Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Vgl. 2. Kor 12,9 nach der Vulgata: virtus in infirmitate perficitur.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 087. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/091&oldid=- (Version vom 30.6.2018)