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einfach streichen, um die These durchzuführen, er habe sich nicht für den verheißenen Messias gehalten und auch nicht dafür gelten wollen. Dazu kommt, daß die Formen, in denen Jesus sein Selbstbewußtsein und seinen Beruf zum Ausdruck gebracht hat, ganz unverständlich werden, wenn sie nicht durch die messianische Idee bestimmt gewesen sind. Endlich, da die positiven Gründe, die man für jene Ansicht beibringt, sehr schwache bezw. höchst fragwürdige sind, so dürfen wir zuversichtlich bei der Annahme bleiben, daß Jesus sich selbst den Messias genannt hat.

Das Messiasbild und die messianischen Vorstellungen, wie sie im Zeitalter Jesu lebendig waren, hatten sich auf zwei kombinierten Linien entwickelt, auf der Linie des Königs und auf der des Propheten; dazu hatte noch manches Fremdartige eingewirkt, und verklärt wurde alles durch die uralte Erwartung, daß Gott selbst sichtbar die Herrschaft über sein Volk antreten werde. Die Hauptzüge des Messiasbildes waren dem israelitischen Königtum entnommen, wie es in idealem Glanze strahlte, nachdem er untergegangen war. Aber die Erinnerungen an Moses und die großen Propheten spielten hinein. Wie sich die messianischen Erwartungen bis zum Zeitalter Jesu ausgeprägt hatten, und wie er sie aufgenommen und umgebildet hat, werden wir in der folgenden Vorlesung in Kürze darstellen.




Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 083. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/087&oldid=- (Version vom 30.6.2018)