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Erkenntnis Gottes offenbarte er und war gewiß, daß sie die Unmündigen reifen und die Schwachen stählen und zu Helden Gottes machen werde. Gotteserkenntnis ist der Born, der das unfruchtbare Feld beleben und Ströme lebendigen Wassers fließen lassen wird. In diesem Sinn hat er von ihr gesprochen als dem höchsten und dem einzigen notwendigen Gut, als der Bedingung aller Erhebung und wir dürfen auch sagen, alles wirklichen Werdens und Fortschreitens. Endlich an seinem Horizonte lag nicht nur das Gericht, sondern auch ein Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, gewiß vom Himmel stammend, aber doch für diese Erde. Wann es kommt, weiß er selbst nicht – die Stunde ist nur dem Vater bekannt –; aber wie es sich verbreitet und wodurch, das weiß er, und neben den dramatischen und farbenreichen Bildern, die durch seine Seele ziehen, stehen auch unverrückbar und sicher ruhige Anschauungen: Der Weinberg Gottes auf dieser Erde, Gott ruft seine Arbeiter hinein – selig, wer einen Ruf empfängt! –; sie arbeiten in dem Weinberg, stehen nun nicht mehr müßig am Markte, und empfangen zuletzt ihren Lohn. Oder jenes Gleichnis von den Pfunden, die ausgeteilt werden, damit man mit ihnen arbeite, die man also nicht im Schweißtuch bewahren soll. Ein Tagewerk, Arbeiten, Vermehren, Fortschreiten, aber alles in den Dienst Gottes und des Nächsten gestellt, vom Lichte des Ewigen umflossen und dem Dienst des vergänglichen Wesens entrückt!

Nehmen wir das alles zusammen, was wir hier nur andeuten konnten – ist die Klage berechtigt, von der wir am Anfange dieses Abschnitts ausgegangen sind? Sollen wir wirklich wünschen, das Evangelium hätte sich dem „Kulturprozeß“ angeschmiegt? Ich denke, daß wir es auch an diesem Punkte nicht zu meistern, sondern von ihm zu lernen haben. Von der wirklichen Arbeit, welche die Menschheit zu leisten hat, kündigt es uns, und wir sollen uns dieser Botschaft gegenüber nicht hinter unsre kümmerliche „Kulturarbeit“ verschanzen. „Die Erscheinung Christi“, sagt ein neuerer Historiker mit Recht, „bleibt die alleinige Grundlage aller sittlichen Kultur, und in dem Maße, in welchem diese Erscheinung mehr oder weniger deutlich hindurchzudringen vermag, ist auch die sittliche Kultur unserer Nationen eine größere oder geringere“[WS 1].

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Houston Stewart Chamberlain (1855-1927), Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts, 1. Hälfte, München 1899, S. 207.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 078. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/082&oldid=- (Version vom 30.6.2018)