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thatsächliches Recht an und hat sich demselben niemals entzogen. Auch das Verbot des Eides ist nicht so zu verstehen, daß er den Eid vor der Obrigkeit mitgemeint hat. Mit Recht hat Wellhausen geurteilt, es gehöre nur ein Körnchen Salz dazu, um den Sinn des Verbots nicht zu verfehlen.[WS 1] Andererseits muß man sich hüten, Jesu Stellung zur Obrigkeit im positiven Sinne zu überschätzen. Man beruft sich gewöhnlich auf das viel citierte Wort: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“[WS 2] Allein dies Wort wird oft mißverstanden. Überall da wird es unrichtig gedeutet, wo man ihm den Sinn geben zu dürfen meint, Jesus habe Gott und den Kaiser als die beiden irgendwie nebeneinander stehenden oder gar innerlich verbundenen Gewalten anerkannt. Daran hat er nicht gedacht, vielmehr umgekehrt die Trennung und Scheidung der beiden Mächte ausgesprochen. Gott und der Kaiser sind die Herren zweier ganz verschiedener Gebiete. Die Streitfrage, um die es sich handelte, löste er eben dadurch, daß er auf diese Verschiedenheit hinwies, die so groß ist, daß ein Konflikt gar nicht entstehen kann. Das Silberstück ist etwas Irdisches und trägt das Bild des Kaisers; also gebe man es dem Kaiser; aber – das ist doch wohl die Ergänzung – die Seele und alle ihre Kräfte haben damit gar nichts zu thun; sie gehören Gott. Die Vermengung der Gebiete hat Jesus abwehren wollen: das ist zunächst das Entscheidende. Hat man dies allem zuvor betont, dann mag man auch hinzufügen, wie bedeutsam es sei, daß Jesus zum Gehorsam gegen die Steuerforderungen des Kaisers aufgefordert hat. Gewiß, das ist wichtig: er selbst respektierte die Obrigkeit und wollte, daß sie respektiert werde; aber in Bezug auf ihre Wertschätzung ist das Wort mindestens neutral.

Dagegen besitzen wir noch ein anderes Wort Jesu in Bezug auf die Obrigkeit, welches sehr viel seltener citiert wird und doch tiefer in die Gedanken des Herrn einführt als das eben besprochene. Wir wollen es kurz betrachten; es wird uns auch deshalb wichtig sein, weil es überzuleiten vermag zur Betrachtung der Stellung, die Jesus zu den Rechtsordnungen überhaupt eingenommen hat. Bei Markus c. 10, 42 lesen wir: „Jesus rief seine Jünger und sprach zu ihnen: Ihr wisset, daß die, welche als Herrscher gelten unter den Völkern, Gewalt gegen sie brauchen und die Mächtigen unter ihnen Macht gegen sie üben. So aber ist's nicht bei euch; sondern wer unter euch groß werden will, der wird euer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Julius Wellhausen, Das Evangelium Matthaei, 1904, S. 21.
  2. Mt 22,21.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 067. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/071&oldid=- (Version vom 30.6.2018)