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um Priester bez. Pastoren und nicht um Missionare handelt, kann man auch mit einigem Rechte einwenden, daß sich der Befehl auf sie nicht beziehe; denn er setzt das Amt der Ausbreitung des Evangeliums voraus. Man kann ferner sagen, daß man aus den Anweisungen des Herrn über das Gebot der Liebe hinaus keine unverbrüchlichen Gesetze machen dürfe, sonst schädige man die christliche Freiheit und verschränke der christlichen Religion das hohe Recht, in ihrer Ausgestaltung dem Gange der Geschichte unbefangen folgen zu dürfen. Aber es läßt sich doch fragen, ob das Christentum nicht Außerordentliches gewonnen hätte, wenn seine berufsmäßigen Diener, die Missionare und die Pastoren, jene Regel des Herrn befolgt hätten. Mindestens aber sollte es bei ihnen strenger Grundsatz sein, sich um Besitz und irdische Güter nur so weit zu kümmern, daß sie selbst nicht anderen zur Last fallen, darüber hinaus aber sich ihrer zu entäußern. Aber ich zweifle auch nicht, es wird die Zeit kommen, in der man wohllebende Seelsorger ebensowenig mehr vertragen wird, wie man herrschende Priester verträgt; denn wir werden in dieser Beziehung feinfühliger, und das ist gut. Man wird es nicht mehr für schicklich, im höheren Sinn des Wortes halten, daß jemand den Armen Ergebung und Zufriedenheit predigt, der selbst wohlhabend ist und um die Vermehrung seines Besitzes eifrig sorgt. Ein Gesunder mag wohl einen Kranken trösten; aber wie soll der Besitzende den Besitzlosen von dem Unwert der Güter überzeugen? Die Anweisung des Herrn, daß der Diener am Wort sich des irdischen Besitzes zu entäußern hat, wird in der Geschichte seiner Gemeinde noch zu Ehren kommen.

3. Ein soziales Programm in Bezug auf Überwindung und Beseitigung von Armut und Not – wenn man darunter ganz bestimmte Anordnungen und Vorschriften versteht – hat Jesus nicht aufgestellt. Er hat sich nicht in wirtschaftliche und zeitgeschichtliche Verhältnisse verstrickt. Hätte er es gethan, hätte er Gesetze gegeben, die für Palästina noch so heilsam gewesen wären – was wäre damit erreicht worden? Sie wären heute nützlich gewesen und morgen veraltet, und sie hätten das Evangelium belastet und verwirrt. Man muß sich auch hüten, solchen Anweisungen, wie die: „Gieb jedem, der dich bittet“[WS 1] und ähnlichen, ihr Maß zu nehmen. Sie wollen doch aus der Zeit und der Situation verstanden sein. Sie beziehen sich auf die augenblickliche Not des Bittenden, die mit einem Stück Brot, einem Trunk Wasser, einem Kleidungsstück, um die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mt 5,42.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 062. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/066&oldid=- (Version vom 30.6.2018)