ihm ein Attentat Gott gegenüber, der die Sperlinge auf dem Dache erhält; sie zerstört die Grundbeziehung zum himmlischen Vater, das kindliche Vertrauen, und vernichtet so unser inneres Wesen. Auch in diesem Punkte, wie in Bezug auf den Mammon, müssen wir bekennen, nicht ernst und tief genug zu empfinden, um der Predigt Jesu in vollem Umfang Recht zu geben. Aber es fragt sich, wer recht hat – Er mit dem unerbittlichen „Sorget nicht“[WS 1] oder wir mit unseren Abschwächungen –, und etwas davon fühlen wir wohl, daß ein Mensch dann erst wirklich frei, kräftig und unüberwindlich ist, wenn er alle seine Sorge abgestreift und auf Gott geworfen hat. Was könnten wir ausrichten und welche Macht würden wir besitzen, wenn wir nicht sorgten!
Und endlich drittens: die Selbstsucht. Selbstverleugnung, nicht Askese ist es, was Jesus hier verlangt, Selbstverleugnung bis zur Selbstentäußerung. „Ärgert dich dein Auge, so reiß es aus; ärgert dich deine Hand, so haue sie ab.“[WS 2] Wo nur immer ein sinnlicher Trieb in dir übermächtig wird, so daß du gemein wirst oder dir ein neuer Herr in deiner Eigenlust entsteht, da sollst du ihn vernichten – nicht, weil die Verstümmelten gottwohlgefällig sind, sondern weil du dein besseres Teil anders nicht zu bewahren vermagst. Das ist ein hartes Wort. Es wird auch nicht erfüllt durch eine generelle Verzichtleistuug, wie die Mönche sie üben – nach ihr kann alles beim alten bleiben –, sondern nur durch einen Kampf und die entschlossene Entäußerung am entscheidenden Punkte.
Allen diesen Feinden, dem Mammon, der Sorge und der Selbstsucht, gegenüber gilt es, Selbstverleugnung zu üben, und damit ist das Verhältnis zur Askese bestimmt. Diese behauptet den Unwert aller irdischen Güter an sich. Dürfte man aus dem Evangelium eine Theorie entwickeln, so würde man nicht auf diese Lehre geführt; denn „die Erde ist des Herrn, und was darinnen ist“[WS 3]. Aber nach dem Evangelium soll man fragen: Können und dürfen mit Besitz und Ehre, Freunde und Verwandte Güter sein, oder habe ich sie abzuthun? Wenn einige Sprüche Jesu uns hier in genereller Fassung überliefert und wohl auch so gesprochen sind, so sind sie nach dem Gesamtinhalt der Reden zu begrenzen. Heilige Selbstprüfung, ernste Wachsamkeit und Vernichtung des Gegners verlangt das Evangelium. Darüber aber kann kein Zweifel sein, daß Jesus in viel größerem Umfange, als wir es
Anmerkungen (Wikisource)
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 055. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/059&oldid=- (Version vom 30.6.2018)