begonnen. Auch er hatte sich unzweifelhaft schon in einen Gegensatz zu den Führern des Volks gestellt; denn einer, der predigt „Kehret um“ und dabei ausschließlich auf den Weg der Buße und des sittlichen Thuns verweist, kommt stets in einen Gegensatz zu den offiziellen Hütern der Religion und Kirche. Aber über die Linie der Bußpredigt ist Johannes nicht hinausgegangen.
Da trat Jesus Christus auf. Er hat zunächst die Verkündigung des Täufers in vollem Umfange aufgenommen und bejaht, und er hat ihn selbst anerkannt, ja es hat niemanden gegeben, über den er in Worten solcher Anerkennung gesprochen hat wie über diesen Johannes. Hat er doch gesagt, daß unter allen, die von Weibern geboren sind, keiner aufgekommen ist, der größer sei denn er. Immer wieder hat er bekannt, daß seine Sache von dem Täufer begonnen worden und daß dieser sein Vorläufer gewesen sei. Ja er hat sich selbst von ihm taufen lassen und sich damit in die Bewegung hineingestellt, die jener entfesselt hatte.
Aber er ist nicht bei ihr stehen geblieben. Wohl verkündete auch er, als er auftrat: „Thuet Buße, das Reich Gottes ist herbeigekommen“[WS 1], aber indem er so predigte, wurde es eine frohe Botschaft. Nichts ist sicherer in der Überlieferung von ihm, als daß seine Verkündigung ein „Evangelium“ war und als eine selige und freudenbringende Botschaft empfunden wurde. Mit gutem Bedacht hat darum der Evangelist Lucas an die Spitze seiner Erzählung vom öffentlichen Auftreten Jesu das Wort des Propheten Jesaias gestellt: „Der Geist des Herrn ist bei mir, derhalben er mich gesandt hat, und gesandt zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, und zu predigen das angenehme Jahr des Herrn.“[WS 2] Oder in Jesu eigener Sprache: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“[WS 3] Dieses Wort hat über der ganzen Verkündigung und dem Wirken Jesu gestanden; es enthält das Thema für alles, was er gepredigt und gehandelt hat. Dann aber ist sofort offenbar, daß diese seine Predigt die Botschaft des Johannes weit hinter sich zurück-
Anmerkungen (Wikisource)
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 032. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/036&oldid=- (Version vom 30.6.2018)