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hat, das war auch bei den Propheten, das war sogar in der jüdischen Überlieferung seiner Zeit zu finden. Selbst die Pharisäer hatten es; aber sie hatten leider noch sehr viel anderes daneben. Es war bei ihnen beschwert, getrübt, verzerrt, unwirksam gemacht und um seinen Ernst gebracht durch tausend Dinge,[AU 1] die sie auch für Religion hielten und so wichtig nahmen wie die Barmherzigkeit und das Gericht. Alles stand bei ihnen auf einer Fläche, alles war in ein Gewebe gewoben, das Gute und Heilige nur ein Einschlag in einen breiten irdischen Zettel. Nun fragen Sie noch einmal: „Was war denn das Neue?“ In der monotheistischon Religion ist diese Frage nicht am Platze. Fragen Sie vielmehr: „War es rein und war es kraftvoll, was hier verkündet wurde?“ Ich antworte: Suchen Sie in der ganzen Religionsgeschichte des Volkes Israel, suchen Sie in der Geschichte überhaupt, wo eine Botschaft von Gott und vom Guten so rein und so ernst – denn Reinheit und Ernst gehören zusammen – gewesen ist, wie wir sie hier hören und lesen! Die reine Quelle des Heiligen war zwar längst erschlossen, aber Sand und Schutt war über sie gehäuft worden und ihr Wasser war verunreinigt. Daß nachträglich Rabbinen und Theologen dieser Wasser destillieren, ändert, selbst wenn es ihnen gelänge, nichts an der Sache. Nun aber brach der Quell frisch hervor und brach sich durch Schutt und Trümmer einen neuen Weg, durch jenen Schutt, den Priester und Theologen aufgehäuft hatten, um den Ernst der Religion zu ersticken; denn wie oft ist in der Geschichte die Theologie nur das Mittel, um die Religion zu beseitigen! Und das andere war die Kraft. Pharisäische Lehrer hatten verkündigt, im Gebot der Gottes- und Nächstenliebe sei alles befaßt; herrliche Worte hatten sie gesprochen; sie könnten aus dem Munde Jesu stammen! Aber was hatten sie damit ausgerichtet? Daß das Volk, daß vor allem ihre eigenen Schüler den verwarfen, der mit jenen Worten Ernst machte! Schwächlich war alles geblieben, und weil schwächlich, darum schädlich. Worte thun es nicht, sondern die Kraft der Persönlichkeit, die hinter ihnen sieht. Er aber predigte gewaltig, „nicht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer“[WS 1]: das war der Eindruck, den seine Jünger von ihm gewannen. Seine Worte wurden ihnen zu „Worten des Lebens“[WS 2], zu Samenkörnern, die aufgingen und Frucht trugen – das war das Neue.

Mit solch einer Predigt hatte Johannes der Täufer bereits

Anmerkung des Autors (1908)

  1. Daß der eine oder andere jüdische Lehrer das Zeremoniell-Gesetzliche hinter dem Sittlichen zurücktreten ließ, kann hier nicht entscheiden, da er aus der Gesamterscheinung des jüdischen Lehrertums der damaligen Zeit doch nicht heraustrat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mt 7,29.
  2. Vgl. Joh 6,68.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 031. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/035&oldid=- (Version vom 30.6.2018)