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heit, dem Leichtsinn und der Trägheit nicht schon alles längst zusammengestürzt und vernichtet ist. Daß überhaupt noch eine Spanne übrig ist, in der die Umkehr möglich, ist ihm das größte Wunder: nur der Langmut Gottes ist es zu verdanken. Aber gewiß ist, das Ende kann nicht lange mehr ausbleiben. So entsteht immer aufs neue im Zusammenhang mit einer großen Bußbewegung die Vorstellung vom nahen Ende. In welche Formen im einzelnen sie sich kleidet, das hängt von zeitgeschichtlichen Umständen ab und ist von untergeordneter Bedeutung. Nur die als Gedankengebilde konstruierte Religion entbehrt der entscheidenden Zuspitzung auf das Ende; die thatsächliche Religion ist ohne sie nicht zu denken, mag sie neu entfacht werden, oder mag sie als stilles Feuer in der Seele glühen.

Aber nun das Zweite – die politisch-sozialen Zustände als Ursachen der religiösen Bewegung. Orientieren wir uns kurz. Sie wissen, die stillen Zeiten der jüdischen Theokratie waren damals längst vorüber. Seit zwei Jahrhunderten war ein Schlag nach dem andern erfolgt; von den schrecklichen Tagen des Antiochus Epiphanes an war das Volk nicht mehr zur Ruhe gekommen. Das Königreich der Makkabäer war aufgerichtet worden; durch innere Zwistigkeiten und den äußeren Feind war es bald wieder dahingesunken. Die Römer waren ins Land gefallen und hatten ihre eiserne Faust auf alle Hoffnungen gelegt. Die Tyrannei des edomitischen Parvenus, des Königs Herodes, nahm dem Volke die Lebensluft und lähmte es an allen Gliedern. Es war nach menschlichem Ermessen nicht abzusehen, wie je wieder eine Besserung der Lage eintreten könne; die alten herrlichen Verheißungen schienen Lügen gestraft – es schien alles aus zu sein. Wie nahe lag es, in solch einer Epoche an allem Irdischen zu verzweifeln und in dieser Verzweiflung notgedrungen auf das zu verzichten, was einst als von der Theokratie unzertrennlich gegolten hatte. Wie nahe lag es, die irdische Krone, den politischen Besitz, Ansehen und Reichtum, thatkräftiges Handeln und Kämpfen nun für unwert zu erklären, dafür aber vom Himmel her ein ganz neues Reich zu erwarten, ein Reich für die Armen, die Zertretenen, die Kraftlosen und eine Krönung ihrer sanften und geduldigen Tugenden! Und wenn schon seit Jahrhunderten der Volksgott Israels in einer Umwandlung begriffen war, wenn er die Waffen der Starken zerbrochen und den prunkvollen Dienst seiner Priester verspottet, wenn er gerechtes

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Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 028. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/032&oldid=- (Version vom 30.6.2018)