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Herrn, das Gericht, das Ende kommt nun. Aber Johannes kündete diesen Tag nicht an als einen Gerichtstag, an welchem Gott endlich die Vergeltung über die Heidenwelt bringen und sein eigenes Volk erhöhen werde, sondern er prophezeite ihn als den Gerichtstag für eben dieses Volk. „Wer hat euch gewiesen, daß ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet? Denket nur nicht, daß ihr bei euch wollt sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt.“[WS 1] Nicht die Abrahamskindschaft sondern rechtschaffene Werke geben den Ausschlag im Gericht. Und er selbst, der Prediger, hat mit der Buße begonnen und ihr sein Leben geweiht: in einem Kleide von Kamelshaaren steht er vor ihnen und seine Nahrung sind Heuschrecken und wilder Honig. Aber Asketen zu werben, darinnen sieht er seine Aufgabe nicht oder mindestens nicht vornehmlich. An das ganze Volk, wie es sich in Beruf, Handel und Wandel bewegt, richtet er sich und fordert es zur Buße auf. Es scheinen sehr einfache Wahrheiten zu sein, die er ihm zu sagen hat: den Zöllnern sagt er: „Fordert nicht mehr, als gesetzt ist“[WS 2]; den Königsleuten: „Thut niemand Gewalt noch Unrecht und laßt euch begnügen an eurem Solde“[WS 3]; den Wohlhabenden: „Teilt von eurer Speise mit“; allen: „Vergesset die Armen nicht“[WS 4]. Das ist die Bethätigung der Buße, zu welcher er aufruft, und sie enthält die Sinnesänderung, welche er meint. Nicht um einen einmaligen Akt handelt es sich, die Bußtaufe, sondern um ein rechtschaffenes Leben im Hinblick auf Gottes vergeltende Gerechtigkeit. Von Zeremonien, Opfern und Gesetzeswerken hat Johannes nicht gesprochen; augenscheinlich legte er auf sie kein Gewicht. Die Gesinnung und das sittliche Thun sind allein entscheidend. Am Gerichtstage richtet der Gott Abrahams nach diesem Maßstabe.

Lassen Sie uns hier einen Augenblick stille halten. Es drängen sich an dieser Stelle Fragen auf, die schon oft beantwortet worden sind und doch immer wieder aufgeworfen werden. Deutlich ist, daß der Täufer die Souveränetät Gottes und seines heiligen Sittengesetzes verkündigt hat. Klar ist auch, daß er seinen Volksgenossen zugerufen hat: das Maßgebende, das allein Entscheidende ist das sittliche: ihr dürft keine größere Sorge haben als die Sorge um euere innere Verfassung und euer sittliches Thun. Klar ist endlich, daß nichts Raffiniertes oder Künstliches in seinem Begriff vom

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Mt 3,7b-10a.
  2. Lk 3,13.
  3. Lk 3,14.
  4. Vgl. Lk 3,11.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 026. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/030&oldid=- (Version vom 30.6.2018)