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bilden: 1. Wunderberichte, die aus Steigerungen natürlicher, eindrucksvoller Vorgänge entstanden sind, 2. Wunderberichte, die aus Reden und Gleichnissen oder aus der Projektion innerer Vorgänge in die Außenwelt entstanden sind, 3. solche, die dem Interesse, alttestamentliche Berichte erfüllt zu sehen, entstammt sind, 4. von der geistigen Kraft Jesu gewirkte, überraschende Heilungen, 5. Undurchdringliches. Sehr beachtenswert ist es aber, daß Jesus selbst auf seine Wunderthaten nicht das entscheidende Gewicht gelegt hat, welches schon der Evangelist Marcus und die anderen alle ihnen beilegen. Hat er doch klagend und anklagend ausgerufen: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht!“[WS 1] Wer diese Worte gesprochen hat, kann nicht der Meinung gewesen sein, der Glaube an seine Wunder sei die rechte oder gar die einzige Brücke zur Anerkennung seiner Person und seiner Mission; er muß vielmehr über sie wesentlich anders gedacht haben als seine Evangelisten. Und die merkwürdige Thatsache, die eben diese Evangelisten, ohne ihre Tragweite zu würdigen, überliefert haben: „Jesus konnte daselbst kein Wunder thun; denn sie glaubten ihm nicht“[WS 2], zeigt noch von einer anderen Seite her, wie vorsichtig wir die Wundererzählungen aufzunehmen und in welche Sphäre wir sie zu rücken haben.

Es folgt aus alledem, daß wir uns nicht hinter die evangelischen Wunderberichte verschanzen dürfen, um dem Evangelium zu entfliehen. Trotz jener Erzählungen, ja zum Teil auch in ihnen tritt uns hier eine Wirklichkeit entgegen, die auf unsere Teilnahme Anspruch erhebt. Studieren Sie sie und lassen Sie sich nicht abschrecken durch diese oder jene Wundergeschichte, die Sie fremd und frostig berührt. Was Ihnen hier unverständlich ist, das schieben Sie ruhig beiseite. Vielleicht müssen Sie es für immer unbeachtet lassen, vielleicht geht es Ihnen später in einer ungeahnten Bedeutung auf. Noch einmal sei es gesagt: lassen Sie sich nicht abschrecken! Die Wunderfrage ist etwas relativ Gleichgültiges gegenüber allem anderen, was in den Evangelien steht. Nicht um Mirakel handelt es sich, sondern um die entscheidende Frage, ob wir hilflos eingespannt sind in eine unerbittliche Notwendigkeit, oder ob es einen Gott giebt, der im Regimente sitzt und dessen naturbezwingende Kraft erbeten und erlebt werden kann.


Unsere Evangelien erzählen uns bekanntlich keine Entwicklungs-

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Joh 4,48.
  2. Mt 13,58; Mk 6,6. Das Zitat wird in späteren Ausgaben indirekt formuliert: „... haben, Jesus habe in Nazareth deshalb kein Wunder thun können, weil die Leute dort ungläubig waren, zeigt...“.
Empfohlene Zitierweise:
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 019. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/023&oldid=- (Version vom 30.6.2018)