und sie ist unsicher in ihren Mitteln. Dazu wird sie nicht selten würdelos und aufdringlich betrieben. In der Meinung, es recht gut zu machen, preist sie die Religion an, als wäre sie eine Ramschware oder ein Universalheilmittel für alle Gebrechen der Gesellschaft. Auch greift sie immer wieder nach allerlei Tand, um die Religion aufzuputzen, und während sie sich bemüht, sie als etwas Herrliches und Notwendiges darzustellen, bringt sie sie um ihren Ernst und beweist im besten Falle nur, daß sie etwas ganz Annehmbares, weil Unschädliches sei. Endlich kann sie es nicht lassen, irgend ein kirchliches Programm von gestern unter der Hand hinzuzunehmen und mit zu „beweisen“; denn in dem lockeren Gefüge ihrer Gedanken kommt es auf ein Stück mehr oder weniger doch nicht an. Welcher Schade dadurch angerichtet worden ist und noch immer um sich frißt, ist unsäglich! Nein, die christliche Religion ist etwas Hohes, Einfaches und auf einen Punkt Bezogenes: Ewiges Leben mitten in der Zeit, in der Kraft und vor den Augen Gottes. Sie ist kein ethisches oder soziales Arcanum, um alles mögliche zu konservieren oder zu bessern. Schon der verwundet sie, der in erster Linie fragt, was sie für die Kultur und den Fortschritt der Menschheit geleistet hat, und danach ihren Wert bestimmen will. Goethe hat einmal gesagt: „Die Menschheit schreitet immer fort, und der Mensch bleibt immer derselbe.“ Nun, auf den Menschen bezieht sich die Religion, auf den Menschen, wie er mitten in allem Wandel und Fortschritt der Dinge sich gleich bleibt. Darum soll die christliche Apologetik wissen, daß sie es mit der Religion zu thun hat in ihrer einfachen Art und Kraft. Gewiß, die Religion lebt nicht nur für sich, sondern in einer innigen Gemeinschaft mit allen Thätigkeiten des Geistes und ebenso mit den sittlichen und wirtschaftlichen Zuständen. Aber sie ist doch nicht nur eine Funktion oder ein Exponent derselben, sondern ein mächtiges Wesen, das hemmend oder fördernd, verwüstend oder befruchtend eingreift. Sie gilt es zunächst kennen zu lernen und ihre Eigenart zu bestimmen – einerlei, wie sich das betrachtende Individuum zu ihr stellen mag, und ob es sie in dem eigenen Leben für wertvoll hält oder nicht.
Aber auch die religionsphilosophische Betrachtung im strengen Sinne des Wortes schließen wir von diesen Vorlesungen aus. Würden wir sie vor sechzig Jahren gehalten haben, so würden wir uns bemüht haben, durch Spekulation einen Allgemeinbegriff von
Adolf von Harnack: Das Wesen des Christentums. J. C. Hinrichs, Leipzig 1900, Seite 005. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasWesenDesChristentums.djvu/009&oldid=- (Version vom 30.6.2018)