Hermann Gunkel (Übersetzer): Das vierte Buch Esra | |
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Teil, wo das Wasser sich gesammelt hatte[1], konnte sie nicht fassen[2]. 51 Du gabst Behemoth zur Wohnung einen der Teile, der am dritten Tage trocken geworden war[3], dort, wo die tausend Berge[4] sind; 52 dem Leviathan aber gabst du das feuchte Siebentel[5]. Du behieltest sie dir vor, daß sie verzehrt werden sollten, von wem und wann[6] du willst — 53 Am sechsten Tage aber befahlst du der Erde, vor dir Vieh, Wild und Gewürm hervorzubringen; 54 dazu noch den Adam, den du zum Herrn machtest über alle Geschöpfe, die du ’vor ihm‘[7] geschaffen. Von dem stammen wir alle ab, die du zu deinem Volk erwählt hast.
55 Dies Alles habe ich vor dir, Herr, gesprochen, weil du gesagt hast, daß du um unsertwillen diese erste Welt[8] geschaffen habest[9], 56 die übrigen Völker aber, die von Adam abstammen, hast du für Nichts[10] erklärt: sie seien dem Speichel gleich[11]; mit dem Tropfen am Eimer[12] hast du ihren Überschwang verglichen. 57 Nun aber, Herr: eben jene Völker, die für Nichts geachtet sind, überwältigen und ’zertreten‘[13] uns; 58 wir aber, dein Volk, das du deinen Erstgeborenen, deinen einzigen Sohn, deinen Anhänger[14] und Freund genannt[15] hast, wir sind in ihre Hand gegeben! 59 Wenn aber die Welt unsertwegen geschaffen ist, warum haben wir nicht diese unsere Welt im Besitz[16]? Wie lange soll es so bleiben?
7 1 Als ich diese Worte beendet, kam der Engel zu mir, der schon in den früheren Nächten zu mir gesandt war. 2 Der sprach zu mir: Stehe auf, Esra, und höre die Worte, die ich gekommen bin zu dir zu reden. 3 Ich sprach: Rede, Herr! Er sprach zu mir: Es giebt ein Meer, das liegt in der Weite, so daß es sich rings in die Breite erstreckt; 4 der Eingang aber dazu ’liegt‘[17] in der Enge, so daß er wie ein Fluß aussieht. 5 Wenn ’nun‘[18] jemand in das Meer kommen will, es zu besehen oder zu ’befahren‘[19], wie wird der die Weite erreichen, wenn er nicht vorher die Enge durchschifft hat? — 6 Oder ein anderes Gleichnis: Es giebt eine ’erbaute‘[20] Stadt, die ist in einer Ebene gelegen und ist alles Guten voll; 7 der Eingang aber dazu[21] ist eng und führt an Abgründen hin, wo rechts Feuer, links tiefes Wasser droht[22]; 8 und nur
- ↑ Demnach sind also beide urspr. Wassertiere.
- ↑ Weil sie so ungeheuer groß sind. Nach ältester Tradition sind diese Wesen mythologische Darstellungen des Oceans.
- ↑ Nach Henoch 60,8 die Wüste Dendain.
- ↑ Haggada auf Grund der mißverstandenen Stelle Ps. 50,10.
- ↑ Hier sind zwei verschiedene Traditionen zusammengeflossen: nach der einen sind beide Wassertiere, nach der anderen ist Leviathan ein Wasser-, Behemoth ein Landtier. Beides wird so kombiniert, daß sie urspr. Wassertiere gewesen, aber wegen ihrer Größe getrennt worden seien.
- ↑ Apokalyptischer Geheimstil. Genaueres hören wir aus Ap. Bar. 29,4: sie sollen gegessen werden in den Tagen des Messias von den „Übergebliebenen“. — Über diese Traditionen vgl. Schöpfung u. Chaos S. 41-69. Wellhausen, Skizzen u. Vorarbeiten VI, S. 232, behauptet, das jüd. Theologumenon vom Verzehren Leviathans in der Endzeit sei aus Ps. 74,14 entsponnen; richtig ist, daß es in diese Stelle von der jüd. Haggada anders woher hineingelesen ist.
- ↑ Syr Aeth antea.
- ↑ Syr saeculum istud, Ar¹ saeculum prius.
- ↑ Während das Ideal des alten Israel war, Kanaan und etwa noch seine Umgebung zu beherrschen, beansprucht die spätere Zeit die Herrschaft über die Welt; vgl. z. B. Röm. 4,13 — Ähnlich Apoc. Sedrach 3, Apoc. Esdrae (ed. Tischendorf) S. 30.
- ↑ Jes. 40,17.
- ↑ Jes. 40,15 LXX ὡς σίελος λογισθήσονται.
- ↑ Jes. 40,15. — Der Gegensatz, daß die Heiden in Gottes Augen nichts seien, aber Israel allein wertvoll sei, hat die jüd. Exegese in diese Prophetenstelle hineingelesen.
- ↑ Syr (Aeth Ar¹ Arm) conculcant.
- ↑ Syr proximum et dilectum; Lat aemulator = ζηλωτής (Volkmar). Ähnl. Ps. Sal. 18,4.
- ↑ Jes. 42,1.
- ↑ haereditatem possidere = κληρονομεῖν˙ vgl. Bensly, Missing Fragment S. 69f.
- ↑ Der Sinn verlangt est; Lat hat ἔσται gelesen (Hilg.).
- ↑ Vgl. zu 6,8.
- ↑ Verwechselung von לָרֶדֶת und לׅרְדֹּת?
- ↑ Dies scheint besser zu sein als die Fassung: eine Stadt, erbaut und gelegen. Man lese: πόλις ἔστιν ᾠκοδομημένη, καὶ κειμένη κτλ.; vgl. 5,25. 10,44.
- ↑ Ein ähnliches Bild Hermas, Simil. 9,12,5.
- ↑ Dieses Bild ist nicht ganz der Wirklichkeit entnommen, sondern es ist auch Phantastisches benutzt. Es scheint das Bild von der Hadesfahrt nachzuwirken, das vielleicht auch schon bei dem ersten Gleichnis im Hintergrunde liegt.
Hermann Gunkel (Übersetzer): Das vierte Buch Esra. Mohr Siebeck, Tübingen 1900, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DasVierteBuchEsraGermanGunkelKautzsch2.djvu/38&oldid=- (Version vom 30.6.2018)